06. November 2023

Improvisation: In Gesprächen improvisieren

Improvisation

In den meisten Gesprächen, die Sie führen, improvisieren Sie Moment für Moment, Sekunde für Sekunde. Obwohl wir alle das schon unser ganzes Leben so tun, kennen die wenigsten das volle Improvisationspotenzial.

Von: Elfriede Czerny  

Elfriede Czerny

Sie ist Coach und Potenzialentwicklerin. Gemeinsam mit Dominik Godat leitet sie das Zent­rum für lösungsfokussierte Führung.

Gespräche verlaufen ungemein schnell. Wir fragen etwas. Die andere Person gibt uns eine Antwort. Wir kom­mentieren diese. Unser Gegenüber be­stätigt das Gesagte oder auch nicht. Es nimmt etwas von dem auf, das wir gesagt haben. Wir reagieren darauf.

So oder so ähnlich spielen sich Ge­spräche Moment für Moment, Sekun­de für Sekunde ab. Innerhalb von we­nigen Sekunden tun alle am Gespräch Beteiligten unglaublich viel. Neben dem Gesagten schauen sich die Gesprächspartner*innen an, schauen weg beim Denken, kommen mit dem Blickkontakt wieder zurück, nicken, blinzeln sich fast im genau gleichen Moment an, bestätigen mit «mhmm», neigen ihren Kopf, wenn sie etwas nicht verstehen, und tun noch ein Viel­faches mehr.

Die meisten Gespräche, die wir tag­täglich führen, haben kein Dreh­buch. Wir sind keine «schlechten» Schauspieler*innen, die ihren Text auswendig gelernt haben und dann im Moment so reagieren, wie das Dreh­buch es vorschlägt. Im Gegenteil, wir haben in vielen Momenten die Möglich­keit, auf unterschiedlichste Art zu re­agieren. Diese Möglichkeiten nehmen wir jedoch nicht immer gezielt wahr.

Struktur und Freiheit

Gespräche verlaufen jedoch nicht be­liebig. Es gibt gewisse Verhaltenswei­sen, die nach entsprechenden Äusse­rungen im Dialog «verlangt» werden. Kennen Sie die Logik dieser Äusserungen, dann können Sie gezielt entschei­den, ob Sie mit dem Gesprächsange­bot mitgehen wollen und sozusagen dem Drehbuch folgen oder ob Sie im­provisieren wollen.

Die Balance zwischen Struktur und Freiheit ist ein wichtiges Prinzip in der angewandten Improvisation. Je besser Sie die jeweilige Struktur kennen, des­to gezielter können Sie einerseits die Freiheiten nutzen, die sich innerhalb der Struktur anbieten. Andererseits können Sie die Struktur leichter hinter­fragen und entsprechend zielführend darauf reagieren.

Interaktive Funktionen

Die International Microanalysis Associates, die sich intensiv mit Gesprächsanalyse auseinandersetzen, haben analysiert, welche Funktionen Äusserungen im Dialog haben, oder anders formuliert, welchen Zweck ge­wisse Äusse rungen im Gespräch ver­folgen. Sie haben 15 interaktive Funk­tionen entdeckt, von denen wir Ihnen die neun mit dem aus unserer Sicht grössten Improvisationspotenzial zei­gen wollen.

Scripting (Initiieren eines Skripts) sowie Following (dem Skript folgen)

Gewisse Äusserungen starten oder ini­tiieren ein Skript, sozusagen ein Dreh­buch, wie das Gespräch unmittelbar danach weitergeht. Das jeweilige Dreh­buch kennen wir von klein auf. Wir wur­den in unserer Kultur entsprechend sozialisiert. Wir folgen dem Skript in den meisten Fällen.

Gute Beispiele fi nden oft im Rahmen der üblichen Begrüssung statt, z.B.:

«Hallo», Nicken, «Hallo», Nicken, «Wie geht’s?», «gut», «Und Ihnen?», «auch gut».

Wir wissen, wie wir sozial konform auf ein «Hallo» oder auf ein «Wie geht es Ihnen?» reagieren sollen respek­tive, wann es angebracht ist, dieses Drehbuch zu starten oder diesem zu folgen. Reagieren wir anders, was wir oft nicht tun, jedoch jederzeit tun könn­ten, dann ist dies meist ungewohnt. Wenn wir auf ein «Hallo» nicht mit ei­nem Nicken oder einem «Hallo» (oder zumindest mit etwas Äquivalentem) reagieren, sondern etwas anderes sa­gen, dann wird dies vielfach als brüs­kierend wahrgenommen. Je nach Ziel, das wir im Gespräch verfolgen, kann dies jedoch durchaus eine mögliche Alternative sein.

Requesting (neuen sachlichen Inhalt anfragen) sowie Contributing (neuen sachlichen Inhalt beitragen)

Eine andere Art der Äusserung sind Fragen. Diese bezwecken vielfach, sachlichen Inhalt anzufragen, der für die fragende Person noch unbekannt ist. Auf eine Frage folgt meistens eine Antwort, die neuen sachlichen Inhalt beiträgt, und so die Frage beantwortet, z.B.:

«Was ist Ihr Ziel?» «Ich möchte eine bessere Beziehung mit meiner Chefi n.» «Wo wohnen Sie?» «In der Hausgasse 7.»

Fragen haben einen grossen Einfluss auf ein Gespräch. Studien zeigen, dass in Gesprächen rund 97% aller Fragen zumindest teilweise beantwor­tet werden. Das heisst, dass das Ge­spräch in aller Regel nach einer Frage in die vorgeschlagene Richtung der Frage geht. Auf die Frage nach dem Ziel ergibt sich vielfach ein Gespräch über Ziele. Auf die Frage nach dem Wohnort folgt zumindest kurzfristig ein Gespräch darüber, wer wo wohnt.

Nicht umsonst werden Fragen in vielen Ansätzen als Führungsinstrument be­schrieben. Führen mit Fragen ist aus unserer Sicht vor allem darum in aller Munde, weil den Fragen oft mit einer Antwort gefolgt wird.

Ein anderer spannender Aspekt von Fragen ist die Tatsache, dass Fragen Vorannahmen enthalten. Die Frage nach dem Ziel nimmt zum Beispiel an, dass Sie ein Ziel haben oder ei­nes formulieren können. Antworten Sie auf die Frage mit einer Antwort, dann akzeptieren Sie diese Voran-nahmen mit Ihrer Antwort. Aus «Was ist Ihr Ziel?>' und Ihrer Antwort «Ich möchte eine bessere Beziehung mit meiner Chefin>' wurde die bessere Be­ziehung mit Ihrer Chefin zu Ihrem Ziel. Sie haben mit Ihrer Antwort die Vor-annahme, dass Sie ein Ziel haben re­spektive ein Ziel formulieren können, akzeptiert und können nach Ihrer Ant­wort nun nicht mehr oder nur schwer behaupten, dass Sie kein Ziel haben oder kein Ziel hatten.

Seien Sie deshalb vorsichtig, welche Fragen Sie beantworten respektive zu welchen Vorannahmen Sie Ja sagen. Wenn Sie eine Frage nicht beantwor­ten wollen, improvisieren Sie, tun Sie etwas anderes, als die Frage ordent­lich zu beantworten. Sie können dies beispielsweise tun, indem Sie andere Inhalte als die erfragten zur Antwort beitragen.

Wenn Sie zum Beispiel gefragt werden: «Was ist das oder was ist Ihr Prob­lem?>', dann könnten Sie, ohne zu sa­gen, dass Sie es nicht sinnvoll fi nden, über Probleme zu reden, zum Beispiel sagen:

«Wenn ich so darüber nachdenke, dann merke ich, dass mein Ziel eine bessere Beziehung mit meiner Chefin ist.»

Proposing (etwas vorschlagen) sowie Accepting (Akzeptieren des Vorschlags)

Ebenfalls eine elegante Variante, um ungewünschte Fragen nicht zu beant­worten, sind Äusserungen, die etwas anderes vorschlagen als das, was ge­rade geschieht, z.B.:

  • «Ich würde gerne später über meine Ziele sprechen. Ist es okay, wenn ich Ihnen zuerst einmal schildere, was ich gerade mache?»
  • «Ich fände es passender, wenn Sie mir zuerst etwas über sich erzählen.»

Vielfach wird der Vorschlag akzeptiert.

Zum Beispiel: «Okay, das können wir gerne so machen.»

Alerting (Signalisieren, dass eine Ausbesserung erforderlich ist)

Diese Form der Äusserung signalisiert, dass es Schwierigkeiten beim Hören oder Verstehen gibt, z.B.:

«Jetzt habe ich Sie nicht verstanden. Könnten Sie die Frage nochmals wie­derholen?»

Reintroducing (Information wieder­einführen)

Beantwortet jemand zum Beispiel Ihre Fragen nicht, dann können Sie die Inhalte der Frage, die zuvor vom Ge­sprächsgegenüber bereits gehört wur­den, wiedereinführen ins Gespräch, z.B.:

«Ich habe vorher mal gefragt, was Ihr Ziel sei, und würde mich sehr dafür interessieren. Mögen Sie mir mehr dar­über erzählen?»

Formulating (Formulieren oder Aufneh­men, was die andere Person gesagt hat)

Eine schöne Variante, neben Fragen, das Gespräch in eine gewünschte Richtung zu lenken, ist es, das Gesag­te der Person auf eine zielführende Art aufzunehmen. Wenn Sie auf die Frage nach dem Ziel zum Beispiel noch kei­ne Antwort erhalten, dann könnten Sie das, was die Person gesagt hat und schon in diese Richtung geht, formu­lieren.

Zum Beispiel: «Ich möchte nicht über meine Ziele sprechen.» «Okay, wenn Sie nicht über Ihre Ziele sprechen möchten, worüber möchten Sie dann sprechen?»

Obwohl die meisten Gespräche, die Sie tagtäglich führen, kein Drehbuch haben, verlangen gewisse Äusserun­gen spezifische Reaktionen. Kennen Sie die interaktiven Funktionen, dann können Sie gezielt darauf eingehen oder durch Improvisieren das Ge­spräch in eine gewünschte Richtung lenken.

Um unsere Website laufend zu verbessern, verwenden wir Cookies. Durch die Nutzung dieser Website stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Mehr Infos