26. April 2022

Profiling: Den Unwahrheiten strategisch auf die Spur kommen

Profiling

Als Erstes werden Sie sich bitte über Folgendes klar: Reicht es Ihnen zu wissen, dass jemand lügt? In den meisten Fällen reicht es nämlich. Wenn Sie also einen Bewerber haben, der Ihr Misstrauen geweckt hat, oder Sie wirklich sicher sind, dass Sie belogen werden, reicht es, ihn nicht einzustellen oder ihm eine Chance zu geben!

Von: Patricia Staniek  

Patricia Staniek

Patricia Staniek ist Certified Master Profiler, Kriminologin, Unternehmensberaterin und Ausbildungsleiterin für Certified Profiler (ISO Zertifiziert), Wirtschafts-Coaches, Manager/Führungskräfte, HR-, Polizei- und Sicherheitspersonal. Zudem verfügt sie über ein abgeschlossenes BWL-Studium mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalistik und Wirtschaftskriminologie. Sie coacht Polizei- und Kriminalbeamte, Sicherheitsdienste, Justizmitarbeitende, Rechtsanwälte und Detektive und bringt ihnen Profiling PScn & SBI-Analysis (Suspicious Behaviour Identification) bei. Mit ihrer Expertenmeinung zum Thema Profiling, Gewalt, Femizide oder zu aktuellen Fällen im Bereich Wirtschaft und Sicherheit ist sie gern gesehener Gast in TV, Radio und Printmedien. Ausserdem ist sie Fachbuch-Autorin: «Profiling – Ein Blick genügt und ich weiss wer du bist», «Mein Wille geschehe-Macht und Manipulation entschlüsseln» und «STATUS – So verschaffen Sie sich mehr Ansehen, Gehör und Respekt».

Wenn Sie aber mit jemandem sprechen, wo es für Sie wesentlich ist, die Lüge anzusprechen oder zu klären, können Sie, nachdem Sie es mit üblichem Nachfragen nicht bestätigt haben, mit folgenden Methoden versuchen:

Setzen Sie Ihren Gesprächspartner richtig unter Stress!

Je höher der Stresspegel für den Lügner wird, umso deutlicher werden die Lügenanzeichen präsent. Machen Sie Stress durch die Stimme und die Formulierung. Dabei ist es gut, wenn die Person gera­de beschäftigt ist. Also wenn sie gerade eine Arbeit erledigen muss, die Hausfassade streicht oder unter Zeitdruck steht! Die Abweichungen von den Bodybasics passieren schneller und zeigen oft eine höhere Intensität. Die Stresssignale lassen sich nicht mehr verstecken. Manche Lügner bewegen sich fahrig und zappelig. Andere neigen eher zu wenigen, kontrollierten Bewegungen! Es gibt also kein «echtes» Rezept, sondern nur gutes Beobachten der Bodybasics und der Abweichungen oder Veränderungen.

Setzen Sie Würfelfragen ein

Verwenden Sie Würfelfragen! So nenne ich Fragen, mit denen man Menschen aus der Bahn wür­felt. Dabei ist es wichtig, dass der Ehrliche sich nicht angegriffen fühlt, der «Täter» aber seine Tat heraushört und sich verhört fühlt.

Beispiel: Ein Lehrling erzählte uns, dass er mit seinem Kollegen im Pausenraum sass. Er hatte seine Geldbörse in der Jacke, die an seinem Stuhl hing. Er verliess den Raum, um von der Werkstatt sein Handy zu holen. Nachdem die Pause vorbei war, ging er wieder auf den Arbeitsplatz zurück. Beim Nachhausegehen wollte der noch Brot kaufen und stellte fest, dass die Geldbörse weg war. Da ich diese Lehrlinge sechs Monate lang einmal monatlich durch Coaching betreute und ich am nächsten Tag in der Lehrlingswerkstatt war, vertraute sich der Lehrling, dessen Geldbörse verschwunden war, mir an.

Er wollte einen Kollegen nicht beschuldigen, dennoch fiel sein Verdacht sofort auf ihn. Sein Gefühl sagte ihm, dass der Kollege die Geldbörse entwendet hatte. Auffällig war auch für ihn, dass der Kollege ein paar Tage zuvor erzählt hatte, er habe kein Geld. Er brachte aber am Tag nach dem Diebstahl eine Stange Zigaretten an den Arbeitsplatz mit.

Die beiden Lehrlinge hatten wieder gemeinsam Pause, und ich kam in den Pausenraum. Ich fragte: «Herr Schneider, sagen Sie mir mal, wann haben Sie Herrn Grubers Geldbörse zuletzt gesehen?» Da er der Dieb war, hörte er durch Formulierung und Ton sofort eine Anschuldigung heraus, und sein Körper zeigte Unsicherheits- und Angstmerkmale.

Er begann leicht zu stottern, die Blinzler stiegen an, und die Handbewegungen waren fahrig. Ich war mir nun sicher und ging aufs Ganze. Ich sagte: «Herr Schneider, geben Sie Herrn Gruber die Geldbörse. Und sollte Ihr Geld jetzt nicht mehr ausreichen, weil Sie schon etwas ausgegeben haben, vereinbaren Sie mit Herrn Gruber einen Rückgabetermin.»

Herr Schneider ging zum Spind und kramte die Geldbörse aus seinem Rucksack hervor und gab mit reuigem und angstvollem Blick Herrn Gruber die Geldbörse zurück. Er entschuldigte sich und ver­sprach, das Geld am nächsten Tag zurückzubringen. Die Konsequenz hielt sich für Herrn Schneider in Grenzen. Die «Kopfwäsche» von mir hatte gereicht. Herr Schneider bereute seine Handlung wirklich, und Herr Gruber nahm die Entschuldigung an.

Wiederholen Sie Ihre Frage

Wiederholen Sie Ihre Frage, formulieren Sie die Frage aber um. Wenn Sie die Frage nicht umfor­mulieren, wird sich Ihr Gesprächspartner sofort verhört und angegriffen fühlen. Wiegen Sie den Gesprächspartner in Sicherheit und fragen neugierig und interessiert.

Bei dieser Methode fühlt sich der Gesprächspartner nicht angegriffen, wird aber rasch versuchen, das Thema zu wechseln. Das könnte dann Ihr Indiz für eine Unwahrheit sein. Manchmal passiert es bei dieser Methode auch, dass der Gesprächspartner seine Lüge noch mehr auszuschmücken beginnt. Dann lassen Sie ihn, fragen interessiert weiter und stellen dann ...

... Fragen nach dem Ablauf in umgekehrter Reihenfolge

Fragen Sie nach dem zeitlichen Ablauf, aber in umgekehrter Reihenfolge. Wenn sich der Lügner hier schon durch Ausschmücken in einen Wust von gelogenen Details verstrickt hat, stolpert er beim Rücklauf meist und zeigt dann sehr schnell Abweichungen von den Bodybasics, wie z.B. durch Ner­vosität, Fahrigkeit der Handbewegungen oder durch Beben in der Stimme.

Stellen Sie offene Fragen

Beispiel: Carina Z., eine Coachingkundin, fragte mich nach dem Einzelcoaching um meinen Rat als Personality-Profilerin. Sie erzählte mir, dass es zwischen ihrer Freundin Lea und ihr immer wieder zu unguten Situationen kam, weil Lea sich regelmässig mit dem Mann ihrer gemeinsamen Freundin Grete in einem Motel zum Schäferstündchen traf.

Carina war diese Situation unangenehm, da sie sich regelmässig mit Greta trafen.

Carina wollte sich nicht mehr verstellen, wusste aber nicht, wie sie sich verhalten sollte, und wollte Greta die Verletzung ersparen. Jetzt könnte man sagen, hier ist eine Anmassung dabei! Wahrschein­lich sogar. Allerdings wollte Carina eine Entscheidung treffen. Die Entscheidung, ob sie sich mit Carina und Greta in Zukunft noch gemeinsam treffen soll. Am meisten störten sie die regelmässigen Lügen von Lea auch ausserhalb des Themas um das Schäferstündchen. Greta hatte Stein und Bein geschworen, sich nicht mehr mit Günter zu treffen.

Ich zählte Carina ein paar Möglichkeiten auf. Dienstag war der Tag, an dem normalerweise das Schäferstündchen stattfand. Beim Kaffeetrinken am Mittwochabend fragte Carina: «Lea, was hast du gestern mit Günter vereinbart, wegen der Beendigung eurer Affäre?»

Lea wurde durch diese Frage aus der Bahn geworfen. Sie kannte sich nun nicht aus, war nicht sicher, ob Carina sie gesehen hatte. Die Bodybasics zeigten starke Veränderungen auf, und sie geriet unter Stress. Lea entschied sich nun für die Wahrheit. Ja, wir beenden das sowieso! Er will sich sowieso nicht scheiden lassen für mich.

Die Geschichte löste sich dann aber anders. Günter hatte wohl mehrere Eisen im Feuer. Eines dieser «Eisen» hatte er das Zusammenziehen versprochen. Als er das nicht umsetzte, wurde es dieser Frau zu bunt, und sie ging zu Greta, um sie über das Dauerverhältnis aufzuklären. Da Greta seit Jahren nicht mehr glücklich war, entschloss sie sich für eine Trennung von Günter. Lea lernte dann einen anderen Mann kennen und zog sich sukzessive aus der Dreier-Freundschaft raus.

Verstummen Sie mitten im Gespräch

Eine weitere wirkungsvolle Methode ist das Verstummen mitten im Gespräch. Wenn ich gerade mit sogenanntem «Tee angeschüttet» werde, verstumme ich.

Und dann habe ich mehrere Möglichkeiten, aus denen ich wähle: Entweder ich sage so was wie: «Ich bin sehr erstaunt», und sage dann nichts mehr. Ich schüttle leicht den Kopf, oder ich ziehe die Augenbrauen hoch und schaue von unten nach oben mit leicht fixierendem Blick.

Das reicht schon, den Gegner mit seinen eigenen Ängsten zu konfrontieren. Der Angst, dass seine Lüge auffliegt. In den meisten Fällen wird dann die Lüge zugegeben, sich entschuldigt oder die Lüge der Wahrheit «angeglichen».

Empfehlung:

Üben Sie sich in der genauen Beobachtung. Die Indizien sind oft in geringer Intensität vorhan­den. Durch genaues Beobachten der Basicline und der Veränderungen und Abweichungen davon wird Ihnen mehr und mehr auffallen, wenn jemand die Wahrheit kreativ auslegt.

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