Führen Sie noch oder haben Sie schon den Lead? Führung auf Augenhöhe wird oft romantisiert. Das Bild eines harmonischen Miteinanders, in dem sich alle Beteiligten gleichwertig einbringen und gehört fühlen, klingt verlockend. Doch die Realität zeigt: Ohne klare Strukturen, bewusstes Rollenverständnis und eine Führungspersönlichkeit, die Sicherheit bietet, kann dieses weichgezeichnete Ideal schnell zu Verwirrung, Machtvakuum oder Frustration führen. Unabhängig von Rang, Alter oder Erfahrung bedarf es eines gezielten Dialogfensters mit psychologischer Sicherheit – ohne Angst davor, die eigene Autorität zu untergraben oder Führungspersonen zu torpedieren.
Altersunterschied als Stolperstein?
Besonders brisant wird es vermeintlich, wenn Führende und Geführte verschiedenen Generationen angehören. Altersunterschiede bringen per se eine gewisse Asymmetrie mit – sei es durch unterschiedliche Lebenserfahrung, technologische Prägung oder Arbeitsverständnisse. Manche Mitarbeitende wollen zu jemandem «aufschauen», suchen Orientierung und Führung durch Erfahrung. Andere hingegen empfinden jede Form von «Herabschauen» – ob wahrgenommen oder real – als Angriff auf ihre Kompetenz und Autonomie. Diese subtile, aber mächtige Dynamik verlangt ein feines Gespür für zwischenmenschliche Signale und die Fähigkeit, zwischen Nähe und Distanz, Augenhöhe und Autorität, Alt und Jung zu navigieren.
Wer Distanz macht, strebt nach Machtdistanz
Wenn wir über Augenhöhe sprechen, dann betreten wir ein Terrain, das in der Unternehmensrealität häufig mit stillen Stolpersteinen gepflastert ist. Einer dieser Stolpersteine hat einen Namen: Machtdistanz – oder im internationalen Kontext «Power Distance», ein zentrales Element im berühmten Kulturmodell des niederländischen Sozialpsychologen Geert Hofstede.
Hofstede definierte Machtdistanz als das Ausmass, in dem weniger mächtige Mitglieder von Institutionen und Organisationen in einem Land akzeptieren und erwarten, dass Macht ungleich verteilt ist. Kurz gesagt: Wie selbstverständlich ist es, dass die Chefin sagt, wo es langgeht – und alle nicken, auch wenn sie anderer Meinung sind?
Für Menschen mit hoher Machtdistanz gilt es als völlig normal, dass Vorgesetzte nicht hinterfragtwerden. Autorität ist dort kein Aushandlungsprozess, sondern eine Tatsache. Für Menschen mit niedriger Machtdistanz sind flache Hierarchien, partizipative Führung und die Einbindung aller Ebenen tief im Führungsverständnis verankert.
Unsere Realität liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Zwar wird gerne über Augenhöhe gesprochen, doch faktisch herrscht in vielen Organisationen noch eine starke «Kopf-nickt-nach-oben»-Mentalität. Entscheidungen werden gerne top-down gefällt – auch wenn sie später als «gemeinsam erarbeitet» verkauft werden. Die Folge: Vermeintliche Augenhöhe wird zum Feigenblatt für eine unreflektierte Machtausübung.
Psychologische Sicherheit: Führung braucht Vertrauen
Doch wie gelingt es, echte Augenhöhe herzustellen – ohne die eigene Autorität zu verlieren? Das Fundament legt die psychologische Sicherheit. Führungskräfte müssen Räume schaffen, in denen Mitarbeitende unabhängig von Alter, Erfahrung oder Hintergrund ihre Meinung sagen dürfen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen.
Dies ist kein Widerspruch zu klarer Führung – im Gegenteil. Wer psychologische Sicherheit bietet, stärkt seine Position als verlässliche und kompetente Führungskraft. Nicht Lautstärke oder Kontrolle erzeugen Respekt, sondern Klarheit, Verlässlichkeit, Integrität sowie Empowerment.
Zwischen Loslassen und Verantwortung
Führung auf Augenhöhe bedeutet also nicht, Führung aufzugeben, sondern sie bewusster, differenzierter und situativer zu leben. Es geht darum, Macht nicht als Instrument des Drucks, sondern als Verantwortung zur Ermächtigung zu verstehen. Insbesondere in multigenerationel-len Teams heisst das auch: Empathie für unterschiedliche Lebensphasen, Kommunikationsstile und Arbeitsverständnisse. Denn Augenhöhe entsteht nicht automatisch durch die Abschaffung von Hierarchien – sondern durch gegenseitigen Respekt, professionelle Klarheit und eine Führung, die sowohl Orientierung als auch Entwicklung ermöglicht.
PERMA gegen Frost
Hier kommt das PERMA-Modell ins Spiel. Ein Konzept aus der Positiven Psychologie, das durch Dr. Markus Ebner seine Adaption in die Führung – PERMA-Lead – neue Impulse gibt. Es setzt auf fünf zentrale Wirkfaktoren für Vertrauensbasis und Motivation:
P Positive Emotionen: Regelmässiges Erleben positiver Gefühle ist ein wichtiges Grundbedürfnis für Wohlbefinden und somit für eine zwischenmenschliche Vertrauensbasis.
E Engagement: Die Möglichkeit zur Partizipation, eigene Ideen und Meinungen einbringen zu können und als Individuum geschätzt zu werden, fördert die Sichtbarkeit.
R Relationships (Beziehungen): Ein weiteres Grundbedürfnis ist es, eingebunden zu sein in ein soziales Gefüge, darin eine Rolle zu erhalten und diese nach Stärken leben zu können.
M Meaning (Sinn): Das Sinnerleben zu fördern hilft, sich verstanden und gesehen zu fühlen.
A Accomplishment (Zielerreichung): Durch eigenen Einsatz ein Ziel zu erreichen, ist eminent wichtig für das Wirksamkeitserleben. Wirksamkeit fördert nicht nur die Verbundenheit zur Sache, sondern auch die Verbindung zu Mitmenschen, Teammitglieder und Vorgesetzten.
PERMA-Lead bedeutet, dass Führung nicht nur Leistung und Kontrolle bedeutet, sondern dass sie aktiv das psychologische Wohlbefinden sowie die Vertrauensbasis der Mitarbeitenden fördert. Und genau hier liegt der Schlüssel für Führung auf Augenhöhe – generationenübergrei-fend. Denn ein Arbeitsumfeld, das Sinn, Engagement und echte Beziehung ermöglicht, verringert Machtdistanz automatisch, ohne Hierarchien aufzulösen.
Fazit
Schmilzt also (endlich) die permanent frostige Distanz zwischen Führung und Geführten? Nicht einzig Modelle wie PERMA-Lead, positive Leadership und psychologische Sicherheit entscheiden über die Nivellierung des Machtgefälles. Grundlegend ist das Reflexionsverhalten der Vorgesetzten und der Mut, die eigene Rolle konstant infrage stellen zu können. Dafür braucht es entsprechende Gefässe wie beispielsweise Leadership-Workshops und organisationsinterne Dialogfenster. Denn nur wer seine Macht erkennt, diese kritisch hinterleuchtet und mithilfe des eigenen Teams stets neu ausrichtet, kann Mitarbeitende, unabhängig des Alters, zu Höchstleistungen inspirieren und aus Machtausübung Ermächtigung werden lassen.