28. Januar 2025

Ausbildung im digitalen Zeitalter: Lerndidaktik bei der Anwendung digitaler Tools

Ausbildung im digitalen Zeitalter

Im Lernkontext wird vielerorts Didaktik als entscheidendes Element für Lernfortschritt betrachtet. Dieses Verdikt gilt insbesondere für die vormals analoge Welt. Doch welche Prinzipien und didaktischen Methoden sind bei der Wissensvermittlung im digitalen Bereich Erfolg versprechend? Ist Didaktik wirklich Schnee von gestern? — eine Spurensuche.

Von: Marcel Weder  

Marcel Weder

Marcel Weder, MBA

(Univ.)/Dipl.­Ing. FH – an der Seattle University, Washington, ausgebildet, ist Dozent für Wirtschaftsingenieurwesen an der Fernfachhochschule und war während rund 20 Jahren bei namhaften Schweizer Industrieunternehmen in verantwortlichen, kaufmännisch­technischen Führungs­/Projektleitungspositionen im nationalen wie auch internationalen Kontext tätig.

Digitalisierungsexperten wie z.B. Kai Reinhardt bezeugen in ihren Fach­schriften, dass bis zu 90% aller digitalen Transformationsvorhaben in Unterneh­men heutzutage scheitern. Hinter jeder Digitalisierungsbestrebung verbirgt sich die Absicht der Verantwortlichen, nach erfolgter Organisationstransformation zu gesteigerter Wirtschaftlichkeit zu gelan­gen. Die jeweiligen Transformationsvor­haben basieren auf einer Wirtschaftlich­keitsplanung mit Zeitverlaufsüberlegun­gen. Das zusätzlich erwirtschaftete Geld ist der Hauptgrund, um digitale Transfor­mationen von Organisationen entschlos­sen zu durchschreiten. Stellen sich erwar­tete wirtschaftliche Verbesserungen für eine digitalisierte Unternehmung nicht im prognostizierten Masse und Zeitraum ein, müssen wir ein Transformationsvorhaben als gescheitert betrachten.

Der Schlüssel zur Abwendung solcher di­gitaler Fehlerfahrungen und zum Erfolg eines Veränderungsvorhabens liegt im seelisch­sozialen Mitnehmen der Men­schen. Wir Menschen sind stets Teil von Veränderungsvorhaben. Damit wir an Transformationsvorhaben methodisch gelingend herangehen können, verglei­chen wir nun Ausbildungsmethoden­erfahrungen aus der analogen Welt mit digitalen Fehlerfahrungen.

Lehren aus dem didaktischen Erfolg des Autofahrenlernens

In einer Autofahrschule erfolgt die Aus­bildung an Automobilen methodisch­di­daktisch fundiert. Schliesslich steht hier die Sicherheitsdimension für jeden Auto­mobilisten/Verkehrsteilnehmenden im Zentrum, und der Gesetzgeber begegnet diesem Umstand mit grosser Ernsthaftig­keit. Falsch gehandhabt, kann ein Auto­mobil zur Waffe werden, welche Leib und Leben anderer gefährdet. Die zugrunde liegende Autofahrlerndidaktik besteht deshalb aus drei Ausbildungsphasen:

  1. Zunächst verknüpfen wir in der Theorie physikalische Wirkungsweisen von Au­tomobilen mit den gesetzlichen Stras­senverkehrsregeln. Daraufhin zeigt und erklärt der Fahrlehrer uns resp. den um ihn gescharten Fahrschülern die Funktionalitäten des Automobils. Wir beginnen als Fahrschüler unsere nun praktische Ausbildung auf dem Beifahrersitz. Der Instrukteur führt uns die Manipulationselemente des Autos wie Lenkrad, Handbremse, Pedale/ Kupplung oder Gangschaltung vor. Dabei verhält sich der Instrukteur aktiv, wir uns als Fahrschüler passiv.

  2. Nun wechseln wir die Rollen. Wir als Fahrschüler führen nun auf dem Fahrersitz unter den kundigen Au­gen des Instrukteurs Manipulationen aus und sammeln damit Berührungs­und Handhabungserfahrungen. Dies kommt lerndidaktisch dem Begreifen durch Angreifen gleich.

  3. In der Fahrpraxisphase lässt der Instruk­teur uns als Fahrschüler das Automo­bil erstmals in Bewegung setzen und offiziell fahren. Fortan entwickeln wir über einen langwierigen, oft Geduld bedürfenden Prozess unsere Fahrkom­petenzen gemeinsam weiter. Dabei interveniert der Instrukteur in Bedarfs­situationen, gibt uns unvermittelt Feed­back, was das Lernen fördert. Damit wir als Fahrschüler das Erlernte weiter verinnerlichen und festigen können, erhalten wir überdies ein entsprechen­des Bedienreglement zur Hand. So weit der Ablauf des analogen Lernens.

Die trügerische Leichtigkeit digitaler Schulungen

Nun wechseln wir in die digitale Welt. Dazu werfen wir einen Blick auf die Lern­didaktik, die beim Kennenlernen der Funktionen eines Digitaltools zum Ein­satz kommt. Mit diesem sollen künftig Ferientage administrativ erfasst werden können. Das Tool ersetzt die bisher ver­wendeten Word­/Excel­Formulare. Die an der Entwicklung beteiligten Ingenieure la­den uns nun zur Onlineschulung ein.

Es folgt die aus der Didaktik bestens be­kannte Lernabfolge: Zu Beginn wird uns das neu programmierte Digitaltool online vorgestellt, dessen Funktions­/Handha­bungsweise erläutert und online konkret demonstriert (Manipulation). Dabei fällt das im Digitalisierungskontext überprä­sente Wort einfach gefühlte 40­mal. Min­destens ebenso viele Male wird beteuert, das Digitaltool sei erfolgreich ausgetestet. Abschliessend erhalten wir Online­Lernen­den die nötigen Zugangslinks und ­codes sowie eine verlinkte Bedienanleitung.

Die Links stehen sinnbildlich für die digita­le Hinführung zum parkierten Automobil (aus dem analogen Beispiel). Die Codes sind das Pendant zu den Schlüsseln, um das Automobil aufzusperren und zu ak­tivieren. Diese Online­Inthronisierung kommt zeitlich zumeist der Verabschie­dung von uns Online­Lernenden und Be­endigung der Onlineschulung gleich. Wir werden weggezappt. Schluss. 

Führen heisst begleiten

In alledem ist augenscheinlich, dass die fehlende Begleitung von Menschen wäh­rend Veränderungen zum Scheitern von Transformationsvorhaben führt. Ein Digi­taltool fachlich programmieren zu kön­nen, bedeutet keineswegs, dass jene Di­gitalerrungenschaft dann von uns Usern auch tatsächlich eigenständig gehand­habt werden kann. Ferner fällt ins Auge, dass wir als User nach erfolgter Digital­tooldemo und de facto An­Kopf­Werfung von Zugangslinks/­codes und digitaler Bedienungsanleitung während der erst­malig­eigenständigen Digitaltoolnutzung zumeist alleine gelassen sind. Wir Digital­lernenden sind uns selbst überlassen.

Bei genauer Betrachtung fehlen in der di­gitalen Lernwelt von heute weitverbreitet die in der Analogwelt bewährten Lerndi­daktikphasen b) und c). Die Möglichkeit des eigenständigen Manipulierens in Begleitung eines Instrukteurs sowie das gemeinsam­praktische Übenkönnen mit dem Digitaltool, um Erfahrenes/Erlerntes zu festigen, kommt zu kurz.

Das ist didaktisch fatal und kommt im analogen Fahrschulbeispiel dem gleich, wie wenn der Fahrlehrer dem Fahrschü­ler nach erfolgter Vordemonstration des Autos Autoschlüssel und Bedien­handbuch übergibt, ihm lediglich «gute Selbstfahrt» wünscht und weggehend anmerkt: «Wenn’s schiefgeht, meld dich einfach jederzeit» – wer tut denn so was?

Der Mensch als Elementarteil erfolgreicher Transformationen

Beziehen Sie für das menschengewinnen­de Umsetzen Ihrer digitalen Transformati­on zwingend Ihre Mitarbeitenden mit ein. Dadurch ermöglichen Sie sich als Transfor­mationsverantwortliche sozioprozessuale Nähe und ein den Menschen empathisches Verstehenkönnen. Kompetenzen solcher Art – auch psychologiespezifische – sind bis dato nicht Teil der MINT­Studienfächer. Doch genau diesen Punkt mahnt das «Pro­blemlöse­Panorama» der Harvard Business School an: Fehler/Probleme und transfor­matorische Herausforderungen können im Extremfall nur zu 5–7% mit Fachwis­sen gelöst werden. Vielmehr ist Lösung des Problems zu 15–20% im Methoden­bereich und in 70–80% der Fälle in der Hinwendung zum Menschen zu finden.

Es ist also folgerichtig, dass Sie sich mit Methoden und dem Menschen einge­hend und prosperierend befassen, um da­mit Qualitätsprobleme zu lösen und Fehler zu eliminieren. Dies gilt umso mehr, wenn Sie Herausforderungen in Transformati­onsvorhaben erfolgreich bewältigen wol­len. Als Entwickler/Trainer digitaler Tools sind Sie deshalb gut beraten, für den Auf­bau von Denk­/Handlungskompetenzen künftigen Usern – Ihren Mitarbeitenden – wohlwollend Lernbegleitung zur Seite zu stellen. Übernehmen Sie dazu bewährte Lerndidaktiken aus dem Analogzeitalter in die neue, digitale Welt von heute, und Sie werden transformationserfolgreich sein.

TAKE HOME MESSAGES

  • Der Schlüssel für den Erfolg eines Ver­änderungsvorhabens liegt im seelisch­sozialen Mitnehmen der Menschen in die Transformation.

  • User werden während der erstmalig­eigenständigen Digitaltoolnutzung zumeist sich selbst überlassen.
  • Dieses Nichtbegleiten ist häufig ur­sächlich für das Scheitern digitaler Transformationsvorhaben in Unter­nehmen.
  • Arbeits­/Sozialforschung fördern zu tage, dass die Hauptwirkung zur Lösung und Verursachung von Proble­men/Herausforderungen zu 70–80% von der Komponente Mensch ausgeht.
  • Menschennahe, psychologiespezifi­sche Studieninhalte sind bis dato nicht Teil der naturwissenschaftlich­inge­nieursspezifischen Studiencurricula.
  • Entwickler/Trainer digitaler Tools sind gut beraten, für den Aufbau von Denk­ und Handlungskompetenzen künftigen Usern wohlwollende Lern­begleitung 

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