15. Juli 2025

Ambiguität: Jenseits von Schwarz und Weiss

Ambiguität

Warum sich auf Schwarz und Weiss beschränken, wenn das Leben in Ambiguität so viel reicher ist? Entdecken Sie, wie Flexibilität und Offenheit für Mehrdeutigkeiten dabei helfen können, in unserer komplexen Welt neue Chancen zu finden.

In unserem Alltag neigen wir oft dazu, Dinge in klare Kategorien einzuteilen: richtig oder falsch, gut oder schlecht, stark oder schwach. Diese Art zu denken gibt uns schnelle Antworten und einfache Lösungen. Doch das Leben ist selten so einfach. Indem wir starr nur zwei Möglichkeiten betrachten, können wir daran gehindert werden, die volle Breite menschlicher Erfahrungen zu erkennen und anzunehmen.

Ambiguität versus Vagheit: Zwei Aspekte von Unsicherheit

Ambiguität und Vagheit erzeugen oft Unsicherheiten, da in beiden Fällen unklar ist, wie weiter vorgegangen werden soll. Beides erfordert unterschiedliche Herangehensweisen. Flexibles Denken ist gefragt. Ob beruflich oder privat, wir sind oft herausgefordert, schnell umzudenken, neue Lösungen zu finden und uns rasch an neue Herausforderungen anzupassen. Ein Denken in strikten Gegensätzen, in Kategorien von «entweder – oder», kann nicht nur zu schlechteren Entscheidungen führen, sondern auch gute Lösungen verhindern.

Von Gegensätzen zu Möglichkeiten

Gegensätze existieren nicht nur isoliert, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Indem wir die Verbindungen und Überschneidungen zwischen ihnen erkennen und dual denken – das heisst, verschiedene Perspektiven gleichzeitig berücksichtigen –, eröffnen wir ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten und fördern ein tieferes Verständnis für komplexe Situationen.

Sarah, eine engagierte Softwareentwicklerin, steht vor der Wahl, eine anspruchsvolle, aber zeitaufwendige Managementposition anzunehmen oder ihre aktuelle, weniger fordernde Rolle beizubehalten, die ihr mehr Zeit für ihre Familie und Hobbys lässt. Die traditionelle Sichtweise wäre eine klare Entscheidung zwischen Karrierefortschritt und persönlichem Leben – ein klassischer Fall von «entweder – oder».

Sarah erkennt jedoch, dass es sich hier lediglich um scheinbare Gegensätze handelt. Sie sieht sich nicht mehr mit einer unvereinbaren Situation konfrontiert, sondern fragt sich, wie sie das scheinbar Unvereinbare vereinbaren kann. Sie wechselt flexibel zwischen verschiedenen Perspektiven, um innovative Lösungen zu finden, die all das, was ihr wichtig ist, berücksichtigen.

Als sie erkennt, dass ihre Entscheidung nicht «entweder – oder» sein muss, entstehen neue Ideen. Sie erkennt, dass sie mit ihrem Arbeitgeber flexible Arbeitszeiten aushandeln kann. Dies ermöglicht ihr eine Balance zu finden, die sowohl berufliches Wachstum als auch persönliches Wohlbefinden erlaubt. Sie sieht die Möglichkeit, in der neuen Position projektbasiert zu arbeiten, wobei sie zeitweise intensiv arbeitet, gefolgt von Perioden, in denen sie sich ihrer Familie und ihren Interessen widmet.

Denken wir dual, sehen wir nicht mehr nur Schwarz oder Weiss, wir erkennen auch die ganze Farbpalette dazwischen. Wir entdecken Verbindungen zwischen scheinbaren Gegensätzen und verstehen, dass oft beides gleichzeitig wahr sein kann, oder auch umgekehrt. Anstatt «entweder – oder» denken wir in Ideen von «sowohl als auch». Unser Denken so aufzuweichen hilft uns, flexibler mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen, sodass (ganz) neue Lösungen entstehen können.

Doch dieses der Komplexität unserer Welt viel mehr Rechnung tragende Denken geht auf Kosten der vermeintlichen Sicherheit. Anstatt vermeintliche Sicherheit, zum Beispiel durch die Anhäufung von Wissen, zu erschaffen, müssen wir lernen, wirksam mit Unsicherheit umzugehen.

Unsicherheiten navigieren statt beseitigen

Während meiner Zeit in einem Beratungsunternehmen, das eng mit dem öffentlichen Dienst zusammenarbeitete, erlebte ich den Übergang von einem auslaufenden Projekt zu einem neuen, das unter sich verändernden Förderprioritäten entwickelt wurde. Die Anforderungen waren unklar, und die Projektstruktur musste erst ausgearbeitet werden. Dies stellte das Team vor grosse Herausforderungen.

In einer Teamsitzung wurde deutlich, wie stark das Bedürfnis der Teammitglieder nach Klarheit war – sie strebten danach, klare Anweisungen und Richtlinien zu erhalten. Die Projektleiterin wies immer wieder darauf hin, dass viele Aspekte des Projekts, einschliesslich der Bearbeitungs- und Dokumentationsmethoden, erst im Tun entworfen und im Dialog mit der Auftraggeberin konkretisiert werden
mussten. Diese andauernde Unsicherheit war nicht nur eine temporäre Phase, sondern ein fortlaufender Prozess, in dem Klarheiten immer wieder neu verhandelt werden mussten, ohne die Sicherheit zu haben, dass jemals endgültige Antworten gefunden würden.

Um in diesem Projekt erfolgreich zu sein und flexibel auf unerwartete Probleme zu reagieren, mussten wir bewusst durch Mehrdeutigkeiten und Vagheiten navigieren. Wir mussten uns in einem Projektumfeld mit sich laufend ändernden Vorgaben kontinuierlich neu anpassen und lernen.

Alle waren gefordert, flexibel zu denken und immer wieder innovative Lösungen zu entwickeln. In Teammeetings und Einzelgesprächen sprachen wir immer wieder sehr offen über unsere Herausforderungen, wir bauten gezielt auf dem auf, was bereits funktionierte, wir lernten von Erfolgsgeschichten, und wenn etwas nicht funktionierte, fragten wir uns, wie wir es stattdessen machen könnten. All dies war von unschätzbarem Wert – für eine gute Zusammenarbeit und für gute Arbeitsergebnisse.

Die Kunst, in der Mehrdeutigkeit zu navigieren

Die Entwicklung von Ambiguitätstoleranz und flexiblem Denken ist kein einmaliges Ziel, sondern ein kontinuierlicher Prozess in einer sich ständig verändernden Welt. Ambiguität kann als Herausforderung betrachtet werden, die uns dazu anregt, über uns selbst hinauszuwachsen und aktiv an der Gestaltung unserer Zukunft mitzuwirken.

 

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