Einflussfaktor 1: Wirtschaft und Umwelt
Wenn man die Gedanken etwas lenken will, gibt es drei entscheidende Zukunftstreiber. Als Erstes geht es um eine geopolitische Verschiebung. Die in den letzten Jahrzehnten wichtigen Wirtschaftsnationen wie USA, Deutschland, England und Frankreich werden gegenüber Asien an Bedeutung verlieren. Das hat sicher mit der Bevölkerungsentwicklung zu tun, aber auch mit Bildungssystemen und der schieren Marktmacht. Der zweite grosse Umweltfaktor ist die künstliche Intelligenz, die zu grossen Verwerfungen in der Wirtschaft führen wird. Wer diese Kraft nutzen kann, wird gewinnen. Als dritten Faktor kann man sicher die Klimaveränderung ins Feld führen. Diese wird ganze Industriezweige wie den Tourismus massiv beeinflussen.
Einflussfaktor 2: Mitarbeitende
Die Arbeit als Lebenszentrum verliert gerade bei den jüngeren Generationen an Bedeutung. Wenn das Leben unserer Grossmütter und Grossväter sehr zentral über die Arbeit definiert wurde, so zählen heute ganz andere Dinge. Die Frage nach dem Sinn oder die ganzheitliche Lebensgestaltung sind wichtiger als eine möglichst steile Karriere und Prestige durch eine möglichst wichtige Position in einem Unternehmen.
Der Wert der Arbeit verändert sich stark. Gerade in weit entwickelten Wirtschaftsnationen mit hohem Bildungsstand wollen Mitarbeitende mehr, als Geld verdienen und den Lebensunterhalt sichern. Sie suchen nach Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Dabei verliert auch die Loyalität zum Arbeitgeber massiv an Bedeutung. Der Arbeitgeber wird zu einer Plattform für Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung. Dabei erwarten die Mitarbeitenden einen hohen Grad an Personalisierung und Gestaltungsmöglichkeit der eigenen Arbeitsbedingungen. Die demografische Entwicklung und der damit verbundene Fachkräftemangel beschleunigen diese Tendenzen zusätzlich.
Einflussfaktor 3: Unternehmen
Unternehmen stehen heute an der Schwelle von Produktionsfokus zu Gestaltungspriorität. Die industrielle Produktion wird weitgehend automatisiert, viele Standardarbeiten erleben das gleiche Schicksal. Das Zeitalter des Internets wird gerade vom Zeitalter der künstlichen Intelligenz abgelöst. Gefragt sind also alle Fähigkeiten, die künstliche Intelligenz steuern, hinterfragen oder übertrumpfen können. Nach der Einführung des World Wide Web tut sich gerade das nächste grosse Tor auf. Und das gibt auch sehr viel Raum für Gegenbewegungen. Ich denke da zum Beispiel an die Rückkehr des Handwerks. Ob Koch, Schreiner oder Mechaniker. Hier werden sich Nischen und Felder auftun, die von KI nur schlecht erreicht oder besetzt werden können. Weil es dazu Emotion, Fantasie und Kreativität braucht. Dazu kommt ein Kunde, der diese Leistungen auch zu schätzen weiss, weil er genug hat von Produkten, die von Industrierobotern hergestellt wurden.
Um hier mitzuhalten, müssen Unternehmen dynamischer agieren können. Organisationsentwicklung ist das Zauberwort. Organisationen müssen die richtigen Talente zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung stellen können. Das schafft man nicht mit starren Hierarchien, Gärtchendenken und ellenlangen Prozessbeschreibungen. Unternehmen, die es schaffen, ihre Fähigkeiten möglichst liquide zu halten, sind im Vorteil. Dazu braucht es neue Organisationsformen und Rollenmuster. Es braucht neue Formen der Zusammenarbeit. Es braucht Netzwerke und flexible Systeme.
Aus diesen drei Hauptfaktoren lassen sich spannende Thesen für die Zukunft der Arbeit ableiten.
These 1: Arbeitnehmermarkt heisst Recruiting-Revolution
Wir sind im Arbeitnehmermarkt gelandet. Hart. Wir freuen uns über jede Bewerbung, als hätten wir ein Tor in der Champions League geschossen. So weit sind wir schon. Jetzt nur nicht das Interview vergeigen! Sonst ist unser Bewerber schon wieder weg. Wir werden ge-ghostet! Und hören einfach nichts mehr von unserem Lieblingskandidaten. Mit anderen Worten: Recruiting hat ausgedient. Sales und Marketing ist gefragt. Statt Stellenausschreibungen gibt es Entwicklungsangebote. Verkaufs- und Networkingevents sind angesagt. Com-munity Management in den verschiedenen Zielgruppen. Allen voran der CEO als Headliner für Mitwirkungsangebote im Unternehmen. Die Linie muss aktiv Werbung betreiben, um neue Mitglieder zu gewinnen. Umdenken, neu denken.
Das ist gefragt. Wir hängen noch in den Plattformen unserer Lieferanten fest, die uns vorschreiben, wie viele Zeichen wir in welche Spalte eines Inserats schreiben dürfen, wo und wie der Kandidat Dokumente hochladen muss. Wer sich hier schneller löst, wird gewinnen.
These 2: Personalisierung der Arbeitsmodelle
Personalführung heisst heute, Unterschiede zuzulassen. Wir können Mitarbeitende nicht alle gleichbehandeln. Und das verstehen sie auch. Die auf persönliche Vorlieben und Bedürfnisse zugeschnittene Stelle ist das nächste grosse Ding. Die Frage für Unternehmen lautet: Wie können wir massgeschneiderte Arbeitsprofile zulassen und organisieren, damit am Ende eine höhere Wertschöpfung herausschaut? Wie weit können wir uns für wertvolle Talente verbiegen, ohne uns selbst zu verleugnen? Auch hier sind frische Ideen und Offenheit gefragt. Die Kommunikation um diese neuen Ansätze ist absolut zentral. Wer denkt, dass er hie und da «geheime» Pakete für gewisse Mitarbeitende schnüren kann, ist auf dem falschen Dampfer. Solche Dinge sprechen sich herum. Schneller, als Sie Luft holen können. Und wenn sich dann das Gefühl von Ungleichbehandlung mal in der Unternehmung breitgemacht hat, dann haben Sie den Salat. Also lieber mit offenen Karten spielen. Dabei dürfen wir auch mal einen Fehler zugeben.
These 3: Die Neue im Büro
Metaverse und ChatGPT – wer nichts mit diesen Abkürzungen anfangen kann, soll bitte googeln. Jetzt. Wer sich als HR mit ChatGPT beschäftigt, muss sich ein paar Fragen stellen. Wurde das tolle Motivations schreiben der letzten Kandidatin von einer künstlichen Intelligenz verfasst? Wo kann uns dieses Ding helfen? Worauf müssen wir achten? Ich empfehle, zu experimentieren und zu spielen. Nur so können wir uns mit der neuen Realität anfreunden. Planen Sie interne Veranstaltungen zum Thema. Laden Sie Spezialisten ein, die Ihnen das erklären. Künstliche Intelligenz kann sehr hilfreich sein, aber auch sehr beängstigend. Wie können wir das Metaverse und virtuelle Realitäten in der Ausbildung nutzen? Diese Dinge gilt es, zu ergründen. Lieber früher als später. Und wer weiss denn schon, wer diesen Artikel geschrieben hat?
These 4: New Pay
Die neue Generation hat es nicht auf unser Geld abgesehen. Vielmehr geht es um ein Gesamtpaket an Leistungen. Dazu gehören Ausbildungsangebote, Ferien tage, Gesundheitsförderung, Coaching. Es geht bei New Pay um ein möglichst attraktives Ökosystem. Kinderkrippen plätze, Joker-Tage oder die coole Kaffeebar. Arbeitszeitregelung und die Ausstattung des Arbeitsplatzes oder Versicherungen, Gratiseintritte ins Yogastudio. Das Package macht die Musik. Und dieses muss optimal abgestimmt sein auf die Vision und Mission des Unternehmens. Wer den Jahreslohn allein als Massstab nimmt, denkt zu kurz. Und natürlich muss diese Mixtur an attraktiven Komponenten auch entsprechend vermarktet werden. Google hat es vorgemacht. Dabei sollten wir nicht versuchen, Google zu imitieren, sondern das Mindset dahinter verstehen und für das eigene Unternehmen übersetzen: Wie entwickeln wir für unsere Zielgruppe einen Angebotsmix, der glaubwürdig und attraktiv ist?
These 5: Agil
Unternehmen, die mit agilen Organisationsformen und Methoden hantieren, sind nicht neu. Organisationen, die das auch wirklich beherrschen, dagegen schon. Die Zeit der Experimente ist vorbei. Agile Organisationen müssen liefern. Und das können sie nur dann, wenn sie intensiv an sich arbeiten. Wir haben mit Organisa tionen gearbeitet, die quasi ein Synonym für neue Organisationsformen in der Schweiz sind, und feststellen müssen, dass es gewaltig Kies im Getriebe hat. Wir sehen, dass Organisationen sich überfordern, sich selbst überholen. Die Feststellung, dass man unterwegs eine Leitplanke abrasiert hat, kommt oft reichlich spät. Dysfunktio nale Teams sind die Folge. Frustrationen und Enttäuschungen die Symptome. Diesen Organisations kater zu bekämpfen, ist quasi die nächste Stufe der Erleuchtung. Aus dem Trend der Organisation, die auf Augenhöhe agierend souverän mehr Leistung erbringen kann, wird jetzt harte Arbeit. Es lohnt sich, nicht aufzugeben!
These 6: Sinn ergeben
Wir schliessen den Kreis zu neuen Generationen. Wenn wir als Organisation neben Umsatz und EBIT keinen tieferen Sinn sehen, dann haben wir ein Problem. Viele Unternehmen hangeln sich noch weitgehend ohne saubere Mission/Vision von Jahresabschluss zu Jahresabschluss. Oft auch ziemlich strategiefrei oder zumindest sehr opportunistisch. Und das finden zunehmend mehr Mitarbeitende als nicht sehr motivierend. Allen voran die Generation Z. Unternehmen und ihre Arbeitsstellen werden immer mehr zu Identifikationsplattformen für die Mitarbeitenden. Sie wollen Teil sein von etwas Wichtigem. Von etwas Grossem, das die Welt vorwärtsbringt. Die Arbeit wird Ausdruck des eigenen Lebensgefühls und des eigenen Selbstverständnisses. So in etwa, wie wenn man sich für vegane Ernährung entscheidet oder aus Prinzip keine Kleider von Zara trägt. Arbeit ist ein Lebensgefühl und Ausdruck der eigenen Identität.
These 7: Talente mieten statt kaufen
Im Kontext schneller Bewegungen am Markt werden sich viele Firmen umorientieren müssen. Bis das interne Talent sich die neuen Fähigkeiten angeeignet hat, ist schon das nächste Thema auf der Agenda. Wenn es gemäss WEF stimmt, dass bis 2025 die Hälfte aller Jobs massiven Weiterbildungsbedarf hat, dann werden wir es kaum schaffen, alle diese Lernbedürfnisse intern abzuarbeiten. Lücken in der Belegschaft mit Temporärkräften zu füllen, ist vor allem bekannt in Arbeitsbereichen mit tieferem Spezialisierungsgrad. Wenn Expertenwissen oder neue Skills gefragt sind, ist die Versuchung gross, jemanden gleich einzustellen oder intern auszubilden. Klassischerweise hat man in den letzten Jahren zum Beispiel gesehen, dass Jobs wie Chief Digital Officer boomen. In Zukunft werden sich Unternehmen gut überlegen müssen, ob es mittelfristig nicht viel günstiger ist, Spezialtalente dazu zu mieten, statt gleich neue Stellen zu schaffen, die den Headcount belasten.
These 8: Spielplatz für Talente sein
Wer gute Talente will, muss Talentspielplätze schaffen. Orte, wo sich Talente ausleben, entwickeln und beweisen können. Stellenbeschriebe sind Talentgefängnisse. Wer es als Arbeitgeber schafft, sich eher als Plattform und Marktplatz für Entwicklungsmöglichkeiten zu sehen, wird plötzlich von spannenden Talenten umgeben sein. Offene Strukturen helfen dabei enorm. Flache Hierarchien auf jeden Fall. Psychologische Sicherheit ist eine weitere Erfolgszutat. Und agile Arbeitsformen. Talent braucht Entfaltungsraum. Wer spannende Menschen einzwängt in Prozesse und Protokolle, wird sie schnell wieder verlieren. Nur etwas ist noch schlimmer. Die Talente werden ins System einsozialisiert und bleiben. Wie heisst das schöne Sprichwort? Richtig: «Wer nur Bananen füttert, muss sich nicht wundern, wenn er nur Affen um sich hat.» In Zeiten von chronischer Talentknappheit eine superwichtige Herausforderung für jede Organisation mit Zukunftsplänen.
These 9: Chef als Dienstleistung
Führung wird zur Dienstleistung. Bitte hier kurz innehalten. Dieser Gedanke stellt einiges auf den Kopf, was wir unter diesem Thema in den letzten Jahrzenten eingetrichtert bekommen haben. Wir wen den uns vom Gedanken ab, dass es bei Führung darum geht, Mitarbeitende effizient dazu zu bringen, Mehrwert für das Unternehmen zu generieren. Aus diesem kurzfristen Ansatz, dass wir Mitarbeitende zur Wertschöpfung hinsteuern, geht es dazu über, dass wir uns um Effektivität kümmern. Wie schaffe ich es, menschliche Ressourcen im Unternehmen so zu fördern und zu pflegen, dass sie sich möglichst selbstständig da engagieren, wo sie nachhaltig am meisten Nutzen generieren. Auch wenn der Gedanke des «Servant Leaders» nicht neu ist. Dieser Ansatz aus der agilen Unternehmensentwicklung wird zum Mainstream für die Zukunftsfähigkeit der Organisation.
Fazit
Eines meiner Lieblingszitate im Kontext der Zukunftsplanung lautet: «Die Zukunft ist schon da, und wir sind schon spät dran.» Es stammt von Buckminster Fuller. Er ist 1895 geboren und 1983 gestorben. Er hat das Internet nicht mal erlebt. Aber sein Statement gilt heute immer noch. Viele Signale der Zukunft sind schon sichtbar. Es ist nicht immer schlau, Pionier zu sein. Genauso wenig intelligent ist es, darauf zu vertrauen, dass die Dinge bleiben, wie sie sind. In diesem Sinne wünsche ich Mut, Kreativität und Gestaltungsfreude, wenn es darum geht, der Zukunft in die Augen zu blicken.