25. April 2024

Zukunft der Arbeit: Neun Thesen zur Arbeitswelt von morgen

Zukunft der Arbeit

Wie wir in Zukunft arbeiten, wird von drei Hauptfaktoren bestimmt: zum einen von der Umwelt- und Wirtschaftsentwicklung, zum anderen von der Entwicklung im Umgang mit der Arbeit aus Mitarbeitendensicht und zum Dritten von den Bedürfnissen der Wirtschaft. In allen drei Bereichen sind bedeutende Transformationen im Gang. Diese lösen Unsicherheiten aus, geben aber auch Raum für Gedankenspiele darüber, wie wir in Zukunft arbeiten werden. Darum geht es in diesem Artikel.

Von: Christoph Jordi  

Christoph Jordi

Christoph Jordi

Christoph Jordi ist Gründer und Inhaber der DoDifferent AG – Beratung für Employer Branding, Strategie, Organisations- und Personalentwicklung. Er war Chief Marketing Officer der Winterthur gruppe. Beim AXA-Konzern gehörte er als Group Head of Learning & Development sowie als Global Head Organisation Development zum Global HR Board. Seine Arbeitsorte: Zürich, Tokio, Paris. Er ist seit 15 Jahren Präsident des Stiftungsrats der Stiftung IdéeSport und sitzt im VR der Familie Wiesner Gastronomie AG. Er ist Dozent an verschiedenen MBA-Lehrgängen der FHGR. Sein Wissen holte er mit einem Abschluss an der Universität Zürich und Fortbildungen an der London Business School, IMD und Wharton.

Einflussfaktor 1: Wirtschaft und Umwelt

Wenn man die Gedanken etwas lenken will, gibt es drei entscheidende Zukunfts­treiber. Als Erstes geht es um eine geopo­litische Verschiebung. Die in den letzten Jahrzehnten wichtigen Wirtschaftsnatio­nen wie USA, Deutschland, England und Frankreich werden gegenüber Asien an Bedeutung verlieren. Das hat sicher mit der Bevölkerungsentwicklung zu tun, aber auch mit Bildungssystemen und der schieren Marktmacht. Der zweite grosse Umweltfaktor ist die künstliche Intelli­genz, die zu grossen Verwerfungen in der Wirtschaft führen wird. Wer diese Kraft nutzen kann, wird gewinnen. Als dritten Faktor kann man sicher die Klimaverän­derung ins Feld führen. Diese wird ganze Industriezweige wie den Tourismus mas­siv beeinflussen.

Einflussfaktor 2: Mitarbeitende

Die Arbeit als Lebenszentrum verliert gerade bei den jüngeren Generationen an Bedeutung. Wenn das Leben unserer Grossmütter und Grossväter sehr zentral über die Arbeit definiert wurde, so zählen heute ganz andere Dinge. Die Frage nach dem Sinn oder die ganzheitliche Lebens­gestaltung sind wichtiger als eine mög­lichst steile Karriere und Prestige durch eine möglichst wichtige Position in einem Unternehmen.

Der Wert der Arbeit verändert sich stark. Gerade in weit entwickelten Wirtschafts­nationen mit hohem Bildungsstand wol­len Mitarbeitende mehr, als Geld verdie­nen und den Lebensunterhalt sichern. Sie suchen nach Gestaltungs- und Entwick­lungsmöglichkeiten. Dabei verliert auch die Loyalität zum Arbeitgeber massiv an Bedeutung. Der Arbeitgeber wird zu ei­ner Plattform für Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung. Dabei erwarten die Mitarbeitenden einen hohen Grad an Personalisierung und Gestaltungsmög­lichkeit der eigenen Arbeitsbedingungen. Die demografische Entwicklung und der damit verbundene Fachkräftemangel be­schleunigen diese Tendenzen zusätzlich.

Einflussfaktor 3: Unternehmen

Unternehmen stehen heute an der Schwelle von Produktionsfokus zu Ge­staltungspriorität. Die industrielle Pro­duktion wird weitgehend automatisiert, viele Standardarbeiten erleben das glei­che Schicksal. Das Zeitalter des Internets wird gerade vom Zeitalter der künstlichen Intelligenz abgelöst. Gefragt sind also al­le Fähigkeiten, die künstliche Intelligenz steuern, hinterfragen oder übertrumpfen können. Nach der Einführung des World Wide Web tut sich gerade das nächste grosse Tor auf. Und das gibt auch sehr viel Raum für Gegenbewegungen. Ich den­ke da zum Beispiel an die Rückkehr des Handwerks. Ob Koch, Schreiner oder Me­chaniker. Hier werden sich Nischen und Felder auftun, die von KI nur schlecht er­reicht oder besetzt werden können. Weil es dazu Emotion, Fantasie und Kreativität braucht. Dazu kommt ein Kunde, der diese Leistungen auch zu schätzen weiss, weil er genug hat von Produkten, die von Industrierobotern hergestellt wurden.

Um hier mitzuhalten, müssen Unterneh­men dynamischer agieren können. Orga­nisationsentwicklung ist das Zauberwort. Organisationen müssen die richtigen Talente zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung stellen können. Das schafft man nicht mit starren Hierar­chien, Gärtchendenken und ellenlangen Prozessbeschreibungen. Unternehmen, die es schaffen, ihre Fähigkeiten mög­lichst liquide zu halten, sind im Vorteil. Dazu braucht es neue Organisationsfor­men und Rollenmuster. Es braucht neue Formen der Zusammenarbeit. Es braucht Netzwerke und flexible Systeme.

Aus diesen drei Hauptfaktoren lassen sich spannende Thesen für die Zukunft der Ar­beit ableiten.

These 1: Arbeitnehmermarkt heisst Recruiting-Revolution

Wir sind im Arbeitnehmermarkt gelan­det. Hart. Wir freuen uns über jede Be­werbung, als hätten wir ein Tor in der Champions League geschossen. So weit sind wir schon. Jetzt nur nicht das Inter­view vergeigen! Sonst ist unser Bewer­ber schon wieder weg. Wir werden ge-ghostet! Und hören einfach nichts mehr von unserem Lieblingskandidaten. Mit anderen Worten: Recruiting hat ausge­dient. Sales und Marketing ist gefragt. Statt Stellenausschreibungen gibt es Entwicklungsangebote. Verkaufs- und Networkingevents sind angesagt. Com-munity Management in den verschiede­nen Zielgruppen. Allen voran der CEO als Headliner für Mitwirkungsangebote im Unternehmen. Die Linie muss aktiv Werbung betreiben, um neue Mitglieder zu gewinnen. Umdenken, neu denken.

Das ist gefragt. Wir hängen noch in den Plattformen unserer Lieferanten fest, die uns vorschreiben, wie viele Zeichen wir in welche Spalte eines Inserats schreiben dürfen, wo und wie der Kandidat Doku­mente hochladen muss. Wer sich hier schneller löst, wird gewinnen.

These 2: Personalisierung der Arbeitsmodelle

Personalführung heisst heute, Unter­schiede zuzulassen. Wir können Mitar­beitende nicht alle gleichbehandeln. Und das verstehen sie auch. Die auf persön­liche Vorlieben und Bedürfnisse zuge­schnittene Stelle ist das nächste grosse Ding. Die Frage für Unternehmen lautet: Wie können wir massgeschneiderte Ar­beitsprofile zulassen und organisieren, damit am Ende eine höhere Wertschöp­fung herausschaut? Wie weit können wir uns für wertvolle Talente verbiegen, ohne uns selbst zu verleugnen? Auch hier sind frische Ideen und Offenheit gefragt. Die Kommunikation um diese neuen Ansätze ist absolut zentral. Wer denkt, dass er hie und da «geheime» Pakete für gewisse Mitarbeitende schnüren kann, ist auf dem falschen Dampfer. Solche Dinge sprechen sich herum. Schneller, als Sie Luft holen können. Und wenn sich dann das Gefühl von Ungleichbehandlung mal in der Un­ternehmung breitgemacht hat, dann ha­ben Sie den Salat. Also lieber mit offenen Karten spielen. Dabei dürfen wir auch mal einen Fehler zugeben.

These 3: Die Neue im Büro

Metaverse und ChatGPT – wer nichts mit diesen Abkürzungen anfangen kann, soll bitte googeln. Jetzt. Wer sich als HR mit ChatGPT beschäftigt, muss sich ein paar Fragen stellen. Wurde das tolle Motivations schreiben der letzten Kandi­datin von einer künstlichen Intelligenz ver­fasst? Wo kann uns dieses Ding helfen? Worauf müssen wir achten? Ich empfeh­le, zu experimentieren und zu spielen. Nur so können wir uns mit der neuen Realität anfreunden. Planen Sie interne Veranstal­tungen zum Thema. Laden Sie Spezialis­ten ein, die Ihnen das erklären. Künstliche Intelligenz kann sehr hilfreich sein, aber auch sehr beängstigend. Wie können wir das Metaverse und virtuelle Realitäten in der Ausbildung nutzen? Diese Dinge gilt es, zu ergründen. Lieber früher als später. Und wer weiss denn schon, wer diesen Artikel geschrieben hat?

These 4: New Pay

Die neue Generation hat es nicht auf unser Geld abgesehen. Vielmehr geht es um ein Gesamtpaket an Leistungen. Dazu gehö­ren Ausbildungsangebote, Ferien tage, Ge­sundheitsförderung, Coaching. Es geht bei New Pay um ein möglichst attraktives Öko­system. Kinderkrippen plätze, Joker-Tage oder die coole Kaffeebar. Arbeitszeitrege­lung und die Ausstattung des Arbeitsplat­zes oder Versicherungen, Gratiseintritte ins Yogastudio. Das Package macht die Musik. Und dieses muss optimal abgestimmt sein auf die Vision und Mission des Unterneh­mens. Wer den Jahreslohn allein als Mass­stab nimmt, denkt zu kurz. Und natürlich muss diese Mixtur an attraktiven Kom­ponenten auch entsprechend vermarktet werden. Google hat es vorgemacht. Da­bei sollten wir nicht versuchen, Google zu imitieren, sondern das Mindset dahinter verstehen und für das eigene Unterneh­men übersetzen: Wie entwickeln wir für unsere Zielgruppe einen Angebotsmix, der glaubwürdig und attraktiv ist?

These 5: Agil

Unternehmen, die mit agilen Organisa­tionsformen und Methoden hantieren, sind nicht neu. Organisationen, die das auch wirklich beherrschen, dagegen schon. Die Zeit der Experimente ist vor­bei. Agile Organisationen müssen liefern. Und das können sie nur dann, wenn sie intensiv an sich arbeiten. Wir haben mit Organisa tionen gearbeitet, die quasi ein Synonym für neue Organisationsformen in der Schweiz sind, und feststellen müs­sen, dass es gewaltig Kies im Getriebe hat. Wir sehen, dass Organisationen sich überfordern, sich selbst überholen. Die Feststellung, dass man unterwegs eine Leitplanke abrasiert hat, kommt oft reich­lich spät. Dysfunktio nale Teams sind die Folge. Frustrationen und Enttäuschungen die Symptome. Diesen Organisations kater zu bekämpfen, ist quasi die nächste Stufe der Erleuchtung. Aus dem Trend der Or­ganisation, die auf Augenhöhe agierend souverän mehr Leistung erbringen kann, wird jetzt harte Arbeit. Es lohnt sich, nicht aufzugeben!

These 6: Sinn ergeben

Wir schliessen den Kreis zu neuen Ge­nerationen. Wenn wir als Organisation neben Umsatz und EBIT keinen tieferen Sinn sehen, dann haben wir ein Problem. Viele Unternehmen hangeln sich noch weitgehend ohne saubere Mission/Vision von Jahresabschluss zu Jahresabschluss. Oft auch ziemlich strategiefrei oder zu­mindest sehr opportunistisch. Und das finden zunehmend mehr Mitarbeitende als nicht sehr motivierend. Allen voran die Generation Z. Unternehmen und ihre Arbeitsstellen werden immer mehr zu Identifikationsplattformen für die Mitar­beitenden. Sie wollen Teil sein von etwas Wichtigem. Von etwas Grossem, das die Welt vorwärtsbringt. Die Arbeit wird Aus­druck des eigenen Lebensgefühls und des eigenen Selbstverständnisses. So in etwa, wie wenn man sich für vegane Ernährung entscheidet oder aus Prinzip keine Kleider von Zara trägt. Arbeit ist ein Lebensgefühl und Ausdruck der eigenen Identität.

These 7: Talente mieten statt kaufen

Im Kontext schneller Bewegungen am Markt werden sich viele Firmen umorien­tieren müssen. Bis das interne Talent sich die neuen Fähigkeiten angeeignet hat, ist schon das nächste Thema auf der Agen­da. Wenn es gemäss WEF stimmt, dass bis 2025 die Hälfte aller Jobs massiven Weiterbildungsbedarf hat, dann werden wir es kaum schaffen, alle diese Lernbe­dürfnisse intern abzuarbeiten. Lücken in der Belegschaft mit Temporärkräften zu füllen, ist vor allem bekannt in Arbeits­bereichen mit tieferem Spezialisierungs­grad. Wenn Expertenwissen oder neue Skills gefragt sind, ist die Versuchung gross, jemanden gleich einzustellen oder intern auszubilden. Klassischerweise hat man in den letzten Jahren zum Beispiel gesehen, dass Jobs wie Chief Digital Officer boomen. In Zukunft werden sich Unternehmen gut überlegen müssen, ob es mittelfristig nicht viel günstiger ist, Spezialtalente dazu zu mieten, statt gleich neue Stellen zu schaffen, die den Headcount belasten.

These 8: Spielplatz für Talente sein

Wer gute Talente will, muss Talentspiel­plätze schaffen. Orte, wo sich Talente aus­leben, entwickeln und beweisen können. Stellenbeschriebe sind Talentgefängnisse. Wer es als Arbeitgeber schafft, sich eher als Plattform und Marktplatz für Entwick­lungsmöglichkeiten zu sehen, wird plötz­lich von spannenden Talenten umgeben sein. Offene Strukturen helfen dabei enorm. Flache Hierarchien auf jeden Fall. Psychologische Sicherheit ist eine weitere Erfolgszutat. Und agile Arbeitsformen. Ta­lent braucht Entfaltungsraum. Wer span­nende Menschen einzwängt in Prozesse und Protokolle, wird sie schnell wieder verlieren. Nur etwas ist noch schlimmer. Die Talente werden ins System einsoziali­siert und bleiben. Wie heisst das schöne Sprichwort? Richtig: «Wer nur Bananen füttert, muss sich nicht wundern, wenn er nur Affen um sich hat.» In Zeiten von chronischer Talentknappheit eine super­wichtige Herausforderung für jede Orga­nisation mit Zukunftsplänen.

These 9: Chef als Dienstleistung

Führung wird zur Dienstleistung. Bitte hier kurz innehalten. Dieser Gedanke stellt ei­niges auf den Kopf, was wir unter diesem Thema in den letzten Jahrzenten einge­trichtert bekommen haben. Wir wen­ den uns vom Gedanken ab, dass es bei Führung darum geht, Mitarbeitende effi­zient dazu zu bringen, Mehrwert für das Unternehmen zu generieren. Aus diesem kurzfristen Ansatz, dass wir Mitarbeiten­de zur Wertschöpfung hinsteuern, geht es dazu über, dass wir uns um Effektivität kümmern. Wie schaffe ich es, menschli­che Ressourcen im Unternehmen so zu fördern und zu pflegen, dass sie sich möglichst selbstständig da engagieren, wo sie nachhaltig am meisten Nutzen generieren. Auch wenn der Gedanke des «Servant Leaders» nicht neu ist. Dieser Ansatz aus der agilen Unternehmensent­wicklung wird zum Mainstream für die Zukunftsfähigkeit der Organisation.

Fazit

Eines meiner Lieblingszitate im Kontext der Zukunftsplanung lautet: «Die Zu­kunft ist schon da, und wir sind schon spät dran.» Es stammt von Buckminster Fuller. Er ist 1895 geboren und 1983 gestorben. Er hat das Internet nicht mal erlebt. Aber sein Statement gilt heute immer noch. Viele Signale der Zukunft sind schon sichtbar. Es ist nicht immer schlau, Pionier zu sein. Genauso wenig intelligent ist es, darauf zu vertrauen, dass die Dinge bleiben, wie sie sind. In diesem Sinne wünsche ich Mut, Kreativität und Gestaltungsfreude, wenn es darum geht, der Zukunft in die Augen zu blicken.

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