08. September 2023

Verantwortung: Drei Formen der Verantwortung

Verantwortung

Bei der Zusammenarbeit in Organisationen kann man zwischen organisationaler, funktionaler und persönlicher Verantwortung unterscheiden. Der persönlichen Verantwortung kommt die entscheidende Rolle zu, da sie letztlich eine Antwort auf die Sinnfrage gibt.

Von: Bruno Frischherz  

Dr. Bruno Frischherz

Dr. Bruno Frischherz ist seit 20 Jahren Dozent an der Hochschule Luzern – Wirtschaft.Er hat zahlreiche Bücher und Artikel zu Themen wie Gesprächsführung, Persönlichkeitsentwicklung und Unternehmensethik veröffentlicht. In seiner philosophischen Praxis bietet Bruno Frischherz sinn- und werteorientierte Beratung und Philosophiekurse für Laien an.

Als Erwachsene sind wir für unsere Entscheidungen und Handlungen verantwortlich. In der Alltagssprache bedeutet «Verantwortung» einerseits die Verpflichtung, das Geschehen im eigenen Verantwortungsbereich zu einem guten Ausgang zu bringen, und andererseits die Verpflichtung, für die Ergebnisse Rede und Antwort zu stehen. Verantwortung kann also sowohl vorausschauend als auch rückblickend
verstanden werden. In beiden Fällen geht es um eine Person, die das Gute will und sich dafür einsetzt.

Sprachlich leitet sich «Verantwortung» von «antworten» ab, was den dialogischen Charakter der Verantwortung unterstreicht. Wir sollen in der Lage sein, gute Gründe zu nennen, warum wir auf eine bestimmte Weise handeln oder gehandelt haben. Für etwas verantwortlich zu sein, bedeutet also, sich selbst und anderen Menschen gute Gründe für das eigene Verhalten geben zu können.

Organisationale Verantwortung

Organisationen wie Unternehmen verfügen über eine stabile Identität und haben weitgehende Entscheidungsfreiheiten. Sie können mit ihren Massnahmen positive und negative Folgen für Umwelt und Gesellschaft haben. Daher tragen Unternehmen auch eine Verantwortung im ethischen Sinne.

Die Verantwortung von Organisationen wird heute unter dem Begriff Corporate Social Responsibility (CSR) diskutiert. Damit ist die Verantwortung einer Organisation in Bezug auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit Ökonomie, Ökologie und Soziales gemeint. Unternehmen halten ihre Erfolge in diesen drei Dimensionen – seltener auch ihre Misserfolge – in ihren Nachhaltigkeitsberichten fest, die meist nach den Richtlinien der Global Reporting Initiative (GRI) strukturiert sind.

Seit 2011 gibt es für die gesellschaftliche Verantwortung von Organisationen auch die ISO-Norm 26000, die allerdings nicht zertifizierbar ist. Gemäss dieser ISO-Norm trägt eine Organisation Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Entscheidungen und Aktivitäten auf die Gesellschaft und die Umwelt. Sie soll durch transparentes und ethisches Verhalten zur nachhaltigen Entwicklung, Gesundheit und zum Gemeinwohl beitragen. Die ISO-Norm lässt sich auf alle Arten von Organisationen anwenden, unabhängig von der Grösse und vom Standort. Ausgangspunkt der ISO-Norm sind die einzelnen Stakeholder-Gruppen mit ihren spezifischen Ansprüchen: Eigentümer (Shareholder), Mitarbeitende, Kunden und Kundinnen, Zulieferer, Mitbewerber,Gemeinden und die Zivilgesellschaft.

Funktionale Verantwortung

Die gesellschaftliche Verantwortung in Organisationen zu implementieren, ist eine Managementaufgabe. Einige Unternehmen setzen dazu CSR-Teams, Ethikbeauftragte oder Ethikkomitees ein. Dies sind zweckmässige Strukturen vor allem bei grossen Unternehmen mit komplexen ethischen Problemfeldern. Die Verantwortung kann und darf aber nicht allein den Spezialistinnen und Spezialisten überlassen werden.

Innerhalb einer Unternehmung sind die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten den Stellen zugeteilt. Es handelt sich dabei um die Verantwortung von Rollenträgerinnen und -trägern. Ich verwende dafür den Begriff der «funktionalen Verantwortung». Das Unternehmen überträgt den Mitarbeitenden in ihren Rollen bestimmte Aufgaben, und die entsprechende Verantwortung ist unterschiedlich gefasst. Das Topmanagement trägt eine andere Verantwortung als einfache Mitarbeitende. Die funktionale Verantwortung ist normalerweise in einem Pflichtenheft festgehalten.

Doch die Mitarbeitenden tragen nicht nur gegenüber der Unternehmung, sondern auch gegenüber den Stakeholdern Verantwortung. Zwischen den Interessen, Rechten und Ansprüchen der Stakeholder gibt es häufig Widersprüche, die bei Mitarbeitenden zu inneren Konflikten führen können. Dann haben die Mitarbeitenden als Person zu entscheiden.

Persönliche Verantwortung

Menschen sind nicht nur Rollenträger, sondern sie können in Konfliktsituationen gemäss ihren Werthaltungen Stellung nehmen. Die persönliche Verantwortung in einer Situation ist für einen Menschen etwas Existenzielles, d.h. es liegt allein an ihr oder ihm zu entscheiden. Die Person entscheidet in der Situation nach bestem Wissen und Gewissen, und die Entscheidung ist dann für die Person bindend. Sie wird sich dafür zu verantworten haben.

Entscheidend für die persönliche Verantwortung ist nicht mehr eine von aussen auferlegte Pflicht, sondern die Möglichkeiten, in einer Situation Sinn zu verwirklichen. Der Psychiater und Philosoph Viktor Frankl nennt dies den «Sinn des Augenblicks», und als Person tragen wir eine Verantwortung gegenüber dem Sinn des Augenblicks. Nach Frankl besitzen wir die intuitive Fähigkeit, den einmaligen und einzigartigen Sinn aufzuspüren, der in jeder Situation steckt. Das Gewissen ist dabei das menschliche Organ für Sinn. Das eigene Gewissen ist die entscheidende Instanz, vor der wir Entscheidungen und Handlungen zu verantworten haben.

Abschluss: Sinn- und Werteorientierung

Wertekonflikte zwischen den drei Formen der Verantwortung gehören zum beruflichen Alltag. Letztlich muss sich die Person entscheiden, was in der Situation am meisten Sinn ergibt. Auch der Ethikkodex und das Pflichtenheft können diese Entscheidung nicht abnehmen. Die Orientierung am Sinn und an den Werten und die Übereinstimmung von Denken – Sagen – Tun bilden die Integrität einer Person, aber auch einer Organisation.

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