07. November 2023

Topsharing: Führungspositionen aufteilen

Topsharing

Topsharing gewinnt an Beliebtheit. Dabei muss bei der Rekrutierung einer Doppelspitze mit einem Missverständnis ausgeräumt werden: Wer Verantwortung lieber teilt als übernimmt, ist auch für eine Co-Führung ungeeignet.

Von: Werner Raschle  

Werner Raschle

Werner Raschle ist Inhaber und CEO des Personal-und Executive Search-Unternehmens Consult & Pepper mit Standorten in der ganzen Schweiz. Er berät und unterstützt nationale Unternehmen und internationale Konzerne in der Suche, Selektion und Gewinnung von Fachspezialisten und Führungskräften.

Eine leitende Position bedeutet: mehr Leistung, in Form von Überstun­den, mehr Verantwortung verbunden mit hohem Druck. Damit einhergehend aber auch mehr Reputation oder Presti­ge und ein höheres Salär. So war es im­mer, darauf haben sich immer alle mit grosser Selbstverständlichkeit geeinigt. Doch New Work mit agilen Arbeitswel­ten, differenziertem Hierarchieverständ­nis und dem Anspruch auf eine ausge­glichene Work-Life-Balance und eine vereinfachte Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Karriere ist daran, diese bisherige Selbstverständlichkeit zu ver­ändern. Topsharing, also das Teilen von Führungspositionen, ist ein Ausdruck die­ses Wandels. Immer mehr Mitarbeitende arbeiten für zwei Vorgesetzte oft. Und nach der Wirtschaft ist die Doppelbesetzung von Spitzenpositionen auch in der Politik angekommen, von Parteiführungen bis zum Regieren in Stadtpräsidien.

Es tönt einfach ...

Co-Führungen sind eine vermeintlich gute Möglichkeit, um die unterneh­menskulturellen Grundlagen für mehr Gleichstellung, Diversität und private Engagements zu fördern und gleich­zeitig die Rekrutierung von Führungs­kräften zu vereinfachen – könnte man meinen.

Zwar lassen sich die Vorteile einer Führung im Duo herbeireden: mehr Kompetenzen, mehr Engagement und Produktivität, mehr Kreativität, mehr Lösungsfindungen, mehr Flexibilität, mehr Perspektiven. Die Realität ist aber vielfach: gros ser Einsatz im Verhältnis zur mediokren Gesamtwirkung, zu viel Rei­bungspunkte und Ineffizienzen an den Schnittstellen, verunsicherte Mitarbei­tende aufgrund von unterschiedlichen Führungsvorstellungen und unterschied­lichen Tempi, Verkomplizierung der Pro­zesse, hemmende Rücksicht.

... und scheitert doch in vielen Fällen

Warum misslingen Co-Führungen in der Praxis nach wie vor regelmässig? Weil sie oft eher aus Bequemlichkeit ein­gegangen werden als aufgrund eines bewussten Commitments. Häufig wer­den Co-Führungen nicht systematisch gewählt und implementiert, sondern aufgezwungen: um die Schwächen des einen mit den Stärken des andern zu kaschieren, um das Risiko von Fehl­entscheiden zu begrenzen und einen Einzelnen nicht zu mächtig werden zu lassen. Oder aus Goodwill gegenüber einem vorherigen, ungenügenden Stel­leninhaber. Und das ist keine gute Aus­gangslage, um eine Co-Führung zum Erfolg zu führen.

Neue Führungsform braucht neue Strukturen

New Work verlangt den Mut, etwas Neu­es einzuführen und – notabene begrenz­te – Risiken einzugehen. Keine halbher­zigen Konzepte, sondern wegweisende, durchdachte Lösungen, die konsequent verfolgt werden. Doppelspitzen brauchen demnach neue Strukturen und eine neue Ausgestaltung von Führungsverantwor­tung. Eine Ausgestaltung, die zum einen ein einheitliches Verständnis im Unter­nehmen verlangt. Aber und insbesonde­re auch neue Herausforderungen an die Rekrutierung mit sich bringen.

Die Herausforderungen an die Rekrutierung

Denn entgegen der vorschnellen Annah­me, Doppelspitzen würden die Rekrutie­rung von Führungskräften erleichtern, ist das Gegenteil der Fall. Soll eine Co-Füh­rung nicht einfach höhere Personalkos­ten bei gleichzeitig weniger operativem Leistungsoutput bedeuten, sondern den Mitarbeitenden und dem Unternehmen Mehrwerte bringen, muss der Rekrutie­rung ein ganz besonderes Augenmerk und dem zielgerichteten Assessment eine erhöhte Bedeutung geschenkt wer­den. Beim systematischen Search und im Recruiting muss sichergestellt werden, dass die Kandidatinnen und Kandidaten auch in der Co-Führung die Verantwor­tung suchen und übernehmen und sie nicht in erster Linie einfach teilen wol­len. Denn wenn jemand Verantwortung lieber teilt, als sie zu tragen, dann ist sie oder er für die Führung grundsätzlich – auch für die Führung zu zweit – wenig geeignet. Dann soll sie oder er so ehrlich sein und auf eine Führungsposition ver­zichten.

Zudem wird bei Co-Führungen unter­schätzt, wie schwierig es ist, zwei Leute zu finden, deren Chemie so gut zusam­menpasst, dass sie im täglichen Arbeiten keinerlei individuelle politische Agenda haben. Dazu müssen sie sich vertrauen und sich über den Erfolg des anderen gleich freuen wie über den eigenen. Das ist zwar ein hehres Ziel, aber dann halt doch in vielen Fällen sehr illusorisch.

Für das Zusammenpassen ist der Para­meter «Anpassungsfähigkeit» entschei­dend. Diesen in Assessments beurteilen zu wollen, ist unmöglich oder zumindest sehr anspruchsvoll. Es ist daher unabding­bar, erfolgreiche Erfahrungen der poten­ziellen Topsharer zu erfragen und dann auch zu verifizieren.

Individuelle Qualifikationen versus Anforderungen als Duo

Eine Rekrutierung einer Doppelspitze mäandert demnach zwischen massge­schneiderten Ansprüchen an die beiden Kandidatinnen und Kandidaten als Duo und den Anforderungen, die an jede und jeden der beiden Kandidaten gestellt wer­den müssen. Ein Topsharing kann es nur in Partnerschaft geben, zugleich müssen aber beide auch ganz individuelle, von­einander unabhängige Qualifikationen erfüllen. Eine Freundschaft reicht nicht, um als Idealbesetzung durchzugehen. Im Gegenteil: Sich in einer Co-Führung ein­ander erst annähern zu müssen, kann das Profil der beiden Führungskräfte schärfen und die neue Führungsstruktur nachhal­tig prägen.

Klare Stellvertreterregelung als echte Variante

Die Co-Führung ist keineswegs alternativ­los, wenn die Errungenschaften von New Work einen Niederschlag in der Führungs­kultur eines Unternehmens finden sollen. Geht es einem Unternehmen ernsthaft um die Vereinbarkeit von Job und Familie und darum, auch Teilzeitmitarbeitenden Führungsperspektiven zu ermöglichen, kann ein Modell mit einer klaren und kompetenten Stellvertretung, beispiels­weise einem hervorragenden Stabschef, geprüft werden. Haben Führungskräfte in Teilpensen institutionalisierte Stellvertre­terlösungen, wird die Verantwortungsfra­ge also klar beantwortet, dann wird diese Verantwortung tatsächlich auch in einem Teilpensum möglich. Weil Teilzeitarbeit dadurch sehr viel stressfreier, Schnittstel­len deutlich vereinfacht und das Führen von Mitarbeitenden lustvoller werden. Als Proof of Concept dienen hier all die Füh­rungskräfte, die im Rahmen einer Wei­terbildung, beispielsweise eines MBA, ihr Pensum während Monaten reduzieren.

Und was wollen eigentlich die Mitarbeitenden?

Mitarbeitende wollen in der Regel von einem und nicht von zwei Menschen ge­führt werden. Denn einem Menschen zu vertrauen und sich ihm in schwierigen, manchmal auch privaten Situationen zu öffnen, fällt einfacher als zweien. Darüber bringen zwei Vorgesetzte unterschiedliche Ansichten zu wichtigen Themen mit sich, eine unterschiedliche Kommunikation und einen unterschiedlichen Führungsstil. Doch Mitarbeitende brauchen Klarheit und Berechenbarkeit. Und auch die Par­tizipationsmöglichkeiten für die Mitarbei­tenden bei wegweisenden Entscheiden werden geringer: Denn zwei Chefs kön­nen ein Sparring untereinander austragen, der ehrliche Miteinbezug der Mitarbeiten­den bleibt dann eher auf der Strecke.

Die Rolle der Human Resource Business Partner

Gute Personaler erkennen in der Regel, ob sich jemand für ein Topsharing eignet oder ob eine bestimmte Führungsfunktion mit den involvierten Unterstellten mit einem Topsharing besetzt werden sollte. Sie streuen sich dabei auch weniger Sand in die Augen als das Business. Und die Personaler generieren erheblichen Mehr­wert, wenn sie ihre Meinung dazu – auch wenn sie unbequem sein mag – offen und ehrlich kundtun.

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