Eine leitende Position bedeutet: mehr Leistung, in Form von Überstunden, mehr Verantwortung verbunden mit hohem Druck. Damit einhergehend aber auch mehr Reputation oder Prestige und ein höheres Salär. So war es immer, darauf haben sich immer alle mit grosser Selbstverständlichkeit geeinigt. Doch New Work mit agilen Arbeitswelten, differenziertem Hierarchieverständnis und dem Anspruch auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance und eine vereinfachte Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Karriere ist daran, diese bisherige Selbstverständlichkeit zu verändern. Topsharing, also das Teilen von Führungspositionen, ist ein Ausdruck dieses Wandels. Immer mehr Mitarbeitende arbeiten für zwei Vorgesetzte oft. Und nach der Wirtschaft ist die Doppelbesetzung von Spitzenpositionen auch in der Politik angekommen, von Parteiführungen bis zum Regieren in Stadtpräsidien.
Es tönt einfach ...
Co-Führungen sind eine vermeintlich gute Möglichkeit, um die unternehmenskulturellen Grundlagen für mehr Gleichstellung, Diversität und private Engagements zu fördern und gleichzeitig die Rekrutierung von Führungskräften zu vereinfachen – könnte man meinen.
Zwar lassen sich die Vorteile einer Führung im Duo herbeireden: mehr Kompetenzen, mehr Engagement und Produktivität, mehr Kreativität, mehr Lösungsfindungen, mehr Flexibilität, mehr Perspektiven. Die Realität ist aber vielfach: gros ser Einsatz im Verhältnis zur mediokren Gesamtwirkung, zu viel Reibungspunkte und Ineffizienzen an den Schnittstellen, verunsicherte Mitarbeitende aufgrund von unterschiedlichen Führungsvorstellungen und unterschiedlichen Tempi, Verkomplizierung der Prozesse, hemmende Rücksicht.
... und scheitert doch in vielen Fällen
Warum misslingen Co-Führungen in der Praxis nach wie vor regelmässig? Weil sie oft eher aus Bequemlichkeit eingegangen werden als aufgrund eines bewussten Commitments. Häufig werden Co-Führungen nicht systematisch gewählt und implementiert, sondern aufgezwungen: um die Schwächen des einen mit den Stärken des andern zu kaschieren, um das Risiko von Fehlentscheiden zu begrenzen und einen Einzelnen nicht zu mächtig werden zu lassen. Oder aus Goodwill gegenüber einem vorherigen, ungenügenden Stelleninhaber. Und das ist keine gute Ausgangslage, um eine Co-Führung zum Erfolg zu führen.
Neue Führungsform braucht neue Strukturen
New Work verlangt den Mut, etwas Neues einzuführen und – notabene begrenzte – Risiken einzugehen. Keine halbherzigen Konzepte, sondern wegweisende, durchdachte Lösungen, die konsequent verfolgt werden. Doppelspitzen brauchen demnach neue Strukturen und eine neue Ausgestaltung von Führungsverantwortung. Eine Ausgestaltung, die zum einen ein einheitliches Verständnis im Unternehmen verlangt. Aber und insbesondere auch neue Herausforderungen an die Rekrutierung mit sich bringen.
Die Herausforderungen an die Rekrutierung
Denn entgegen der vorschnellen Annahme, Doppelspitzen würden die Rekrutierung von Führungskräften erleichtern, ist das Gegenteil der Fall. Soll eine Co-Führung nicht einfach höhere Personalkosten bei gleichzeitig weniger operativem Leistungsoutput bedeuten, sondern den Mitarbeitenden und dem Unternehmen Mehrwerte bringen, muss der Rekrutierung ein ganz besonderes Augenmerk und dem zielgerichteten Assessment eine erhöhte Bedeutung geschenkt werden. Beim systematischen Search und im Recruiting muss sichergestellt werden, dass die Kandidatinnen und Kandidaten auch in der Co-Führung die Verantwortung suchen und übernehmen und sie nicht in erster Linie einfach teilen wollen. Denn wenn jemand Verantwortung lieber teilt, als sie zu tragen, dann ist sie oder er für die Führung grundsätzlich – auch für die Führung zu zweit – wenig geeignet. Dann soll sie oder er so ehrlich sein und auf eine Führungsposition verzichten.
Zudem wird bei Co-Führungen unterschätzt, wie schwierig es ist, zwei Leute zu finden, deren Chemie so gut zusammenpasst, dass sie im täglichen Arbeiten keinerlei individuelle politische Agenda haben. Dazu müssen sie sich vertrauen und sich über den Erfolg des anderen gleich freuen wie über den eigenen. Das ist zwar ein hehres Ziel, aber dann halt doch in vielen Fällen sehr illusorisch.
Für das Zusammenpassen ist der Parameter «Anpassungsfähigkeit» entscheidend. Diesen in Assessments beurteilen zu wollen, ist unmöglich oder zumindest sehr anspruchsvoll. Es ist daher unabdingbar, erfolgreiche Erfahrungen der potenziellen Topsharer zu erfragen und dann auch zu verifizieren.
Individuelle Qualifikationen versus Anforderungen als Duo
Eine Rekrutierung einer Doppelspitze mäandert demnach zwischen massgeschneiderten Ansprüchen an die beiden Kandidatinnen und Kandidaten als Duo und den Anforderungen, die an jede und jeden der beiden Kandidaten gestellt werden müssen. Ein Topsharing kann es nur in Partnerschaft geben, zugleich müssen aber beide auch ganz individuelle, voneinander unabhängige Qualifikationen erfüllen. Eine Freundschaft reicht nicht, um als Idealbesetzung durchzugehen. Im Gegenteil: Sich in einer Co-Führung einander erst annähern zu müssen, kann das Profil der beiden Führungskräfte schärfen und die neue Führungsstruktur nachhaltig prägen.
Klare Stellvertreterregelung als echte Variante
Die Co-Führung ist keineswegs alternativlos, wenn die Errungenschaften von New Work einen Niederschlag in der Führungskultur eines Unternehmens finden sollen. Geht es einem Unternehmen ernsthaft um die Vereinbarkeit von Job und Familie und darum, auch Teilzeitmitarbeitenden Führungsperspektiven zu ermöglichen, kann ein Modell mit einer klaren und kompetenten Stellvertretung, beispielsweise einem hervorragenden Stabschef, geprüft werden. Haben Führungskräfte in Teilpensen institutionalisierte Stellvertreterlösungen, wird die Verantwortungsfrage also klar beantwortet, dann wird diese Verantwortung tatsächlich auch in einem Teilpensum möglich. Weil Teilzeitarbeit dadurch sehr viel stressfreier, Schnittstellen deutlich vereinfacht und das Führen von Mitarbeitenden lustvoller werden. Als Proof of Concept dienen hier all die Führungskräfte, die im Rahmen einer Weiterbildung, beispielsweise eines MBA, ihr Pensum während Monaten reduzieren.
Und was wollen eigentlich die Mitarbeitenden?
Mitarbeitende wollen in der Regel von einem und nicht von zwei Menschen geführt werden. Denn einem Menschen zu vertrauen und sich ihm in schwierigen, manchmal auch privaten Situationen zu öffnen, fällt einfacher als zweien. Darüber bringen zwei Vorgesetzte unterschiedliche Ansichten zu wichtigen Themen mit sich, eine unterschiedliche Kommunikation und einen unterschiedlichen Führungsstil. Doch Mitarbeitende brauchen Klarheit und Berechenbarkeit. Und auch die Partizipationsmöglichkeiten für die Mitarbeitenden bei wegweisenden Entscheiden werden geringer: Denn zwei Chefs können ein Sparring untereinander austragen, der ehrliche Miteinbezug der Mitarbeitenden bleibt dann eher auf der Strecke.
Die Rolle der Human Resource Business Partner
Gute Personaler erkennen in der Regel, ob sich jemand für ein Topsharing eignet oder ob eine bestimmte Führungsfunktion mit den involvierten Unterstellten mit einem Topsharing besetzt werden sollte. Sie streuen sich dabei auch weniger Sand in die Augen als das Business. Und die Personaler generieren erheblichen Mehrwert, wenn sie ihre Meinung dazu – auch wenn sie unbequem sein mag – offen und ehrlich kundtun.