Das grundlegende Lebenskonzept
Mein grundlegendes Lebenskonzept bestimmt, wie ich Arbeit erlebe. Ist das Leben für mich vor allem hart, ein Kampf, kein Zuckerschlecken? Oder ein grosses Geschenk, ein Wunder, ein Spiel, Magie? Wer das Leben als Kampf sieht, der wird auch die Arbeit als Last erleben, die lediglich zum Broterwerb dient. Und wer das Leben als ein Spiel ansieht, als eine Möglichkeit zum Erforschen und Wachsen, der wird auch von der Arbeit Spass und Selbstverwirklichung erwarten.
Solche Lebenskonzepte haben wir schon als kleine Kinder von unseren Vorbildern (z.B. Eltern) übernommen, unbewusst und ungeprüft. Und wenn wir diese Konzepte nicht über Bord werfen und bewusst durch solche ersetzen, die uns wirklich entsprechen, haben wir sie heute noch – ebenso unbewusst, wie wir sie übernommen haben. Wir können unsere Lebenskonzepte aber auch neu gestalten. Wir sind nicht Opfer unserer Konditionierungen. Wir können uns als Schöpfer unserer eigenen Realität begreifen und Verantwortung übernehmen für das, was in unserem Leben geschieht. Aufhören, anderen Menschen oder den Umständen die Schuld zu geben.
Leistungsprinzip oder Spielprinzip?
Wir wurden getrimmt auf Leistung. Als kleine Kinder waren wir noch im Spielmodus, aber spätestens mit Schuleintritt wurde die Spiel-Idee von der Leistungs-Idee verdrängt: «Das Leben ist kein Pony hof. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. No pain, no gain.» Ist das der Sinn des Lebens? Nein, das ist einfach die Idee unserer Gesellschaft. Wir sind darauf konditioniert, Schule und Arbeit als ein notwendiges Übel anzusehen. Dabei wissen wir, dass Kinder und Erwachsene mit der Spiel-Idee signifikant besser lernen, denn sie operiert nicht mit Druck. Die Leistungs-Idee mit ihrem Druck blockiert das Grosshirn und behindert so den Lernprozess, und dann übernimmt das Reptilienhirn mit seinen alten Mustern von Kampf, Flucht, Erstarrung oder Unterwerfung das Szepter.
Die Angst, dass Menschen ohne Druck keine Leistung erbringen, ist in einer hierarchischen Kultur durchaus berechtigt. Aber in einer freiheitlichen Kultur sind Menschen erfinderisch, neugierig, kreativ und freuen sich über ihre erbrachten Leistungen. So sieht man Geparde im Zoo z.B. niemals rennen, in der Freiheit hingegen sind sie pfeilschnell. Lassen wir doch die Menschen auch im Job frei und emanzipieren wir sie von der Bevormundung am Arbeitsplatz, wo viele als Befehlsempfänger ihre Arbeit verrichten.
Die zwei Szenarien: «Hamsterrad und Egoverwirklichung» oder «Spass und Selbstverwirklichung»
Szenario 1: Hamsterrad und Egoverwirklichung
Hier ist Arbeit reiner Broterwerb, macht keinen Spass und ermöglicht keine Selbstverwirklichung – das Leben findet in den Randzeiten statt. Die Trennung zwischen mühseliger Arbeit und schönem Leben zeigt sich anschaulich im Begriff «Work-Life-Balance»: Da haben wir auf der einen Seite der Waage die Arbeit und auf der anderen Seite das Leben. Der Begriff suggeriert, dass wir nicht leben, wenn wir arbeiten, und dass nicht beides gemeinsam zu haben ist: entweder Arbeit oder Leben.
In den verbleibenden Stunden des Restlebens könnte dann die Selbstverwirklichung stattfinden, aber nach der Bevormundung am Arbeitsplatz fehlt oft die Energie dazu. Stattdessen suchen viele den oberflächlichen Spass mit einer kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung, die mit wahrer Selbstverwirklichung nichts zu tun hat, denn damit wird nicht unser (hohes) Selbst verwirklicht, sondern lediglich unser Ego befriedigt. Die am Arbeitsplatz nicht ermöglichte Selbstverwirklichung und Potenzialentfaltung versuchen wir mit «Egoverwirklichung» zu kompensieren, mit Ersatzgütern (Status, Geld, Luxus), die nicht nachhaltig glücklich machen.
Szenario 2: Spass und Selbstverwirklichung
Hier gehen wir es spielerisch und mit Freude an. Keine Verschiebung des Lebens auf Randzeiten, keine Trennung zwischen Work und Life. Weil das Spiel-Prinzip regiert, macht jeder Schritt auf dem Weg Spass, und die Energielosigkeit und das Bedürfnis nach Egoverwirklichung
verschwinden. Und so wachsen wir und liefern ganz nebenbei eine Top-Leistung ab. Dazu braucht es eine Entwicklung unseres Bewusstseins, eine Öffnung für ganz neue Lebens- und Arbeitsmodelle sowie die Überwindung alter Konditionierungen und eingefahrener Muster. Ohne innere Arbeit können wir die anstehenden Probleme nicht an der Wurzel packen und nachhaltig lösen. Diesen Zusammenhängen gehe ich übrigens in meinem Buch auf den Grund.
Die Kultur in der Firma soll Spass und Selbstverwirklichung fördern
Diese innere Arbeit der Mitarbeitenden (inkl. Geschäftsleitung und Inhaberschaft) gelingt dann am besten, wenn sie von einer Unternehmenskultur unterstützt wird, die Spass und Selbstverwirklichung fördert. In hierarchischen Kulturen des «Command and Control» verkommt die Arbeit zum reinen Broterwerb, denn niemand hat Freude daran, nach der Pfeife der Vorgesetzten zu tanzen: Kein gesunder, selbstbewusster Mensch lässt sich gerne bevormunden, herumkommandieren und in seiner Kreativität beschränken.
Mit der Entwicklung der Unternehmenskultur hin zu Vertrauen und Augenhöhe schaffen wir die Voraussetzungen für Selbstverwirklichung und Spass bei der Arbeit. In der Selbstorganisation bekommen Menschen Entscheidungskompetenzen und Bewegungsfreiheit, übernehmen Verantwortung, und so halten Freude und Selbstverwirklichung Einzug.
Natürlich kann nicht jede Arbeit jederzeit Spass machen – aber wir können uns daran annähern, auch an sog. Bullshit-Jobs mehr Freude zu haben. Es ist eine Frage der Einstellung: Bin ich bereit, eine Arbeit mit Freude auszuführen, oder überlasse ich mich den Gedanken von Unzufriedenheit? Und habe ich im Betrieb die Möglichkeit, mich zu entfalten und mich über meine bestmögliche Leistung zu freuen?
Fazit
Die Zeit, in der wir schlafen, einmal ausgeklammert, verbringen arbeitstätige Menschen die meiste Zeit ihres Lebens bei der Arbeit. Und diese Zeit soll nicht Spass machen und der Selbstverwirklichung dienen dürfen? Es liegt an uns selbst, unserem Leben den ursprünglichen Sinn zurückzugeben und Freude und Selbstverwirklichung an den Arbeitsplatz zu bringen. Wir brauchen neue Lebens- und Arbeitskonzepte: ein neues Mindset und eine neue Methode, die auf Command and Control verzichtet und die Betroffenen zu Beteiligten macht. Hierarchie bedeutet Arbeit als Pflicht und Broterwerb, hierarchiefrei bedeutet Selbstverwirklichung, Sinn und Spass.