Die wesentlichen Grundzüge der Arbeitswelt 4.0 und damit von New Work sind Innovation, Agilität, Flexibilisierung und Individualisierung durch Digitalisierung. Wo wir arbeiten, ist im Optimalfall auch, wo wir wachsen, uns weiterentwickeln und aufblühen. Ein dafür gedeihfreundliches Framework ist eine Umgebung, in der wir unsere Potenziale selbstbestimmt entdecken und entfalten, Sinnhaftigkeit und Teilhabe erleben und Purpose-Orientierung erfahren können. Diese Grundzüge verinnerlicht New Learning und beschreibt somit ein Lehr- und Lernkonzept, welches kongruent mit der modernen Arbeitswelt verschmilzt. New Learning fördert so nicht nur die Attraktivität einer Organisation, um fehlende Fachkräfte anzuwerben und diese zu halten, sondern gibt gleichzeitig den suchenden Fachkräften eine wichtige Beschäftigungsfähigkeit – Employability – an die Hand.
Lernen wie gestern für eine Zukunft von morgen?
Lernwille und Entwicklungsfreude sind wahrscheinlich mitunter die meistgefragten Attribute im Auswahl- und Einstellungsverfahren für eine vakante Stelle heutzutage. In einer modernen VUCA-Welt sind dies tatsächlich wichtige Voraussetzungen, um der Organisation einen Mehrwert zu bieten. Doch etwas rein Menschbezogenes, Individuelles ist Entwicklung nicht. Was bringt eine entwicklungslustige Fachkraft, wenn das Framework der Organisation es nicht erlaubt, sich zeitgenössisch zu entfalten?
Früher waren Organisationen auf Sicherheit und Stabilität ausgerichtet und somit prozessual starr verankert. Dementsprechend war auch ein unterweisendes, belehrendes und auf einem standardisierten Lernpfad erfolgtes Lernen zielführend – die Arbeits- und Lehrwelt war tayloristisch geprägt. Gegenwärtig sind Firmen, welche agil und wandlungsfähig sind, die klaren Gewinner. Statt Prozesse zu verankern, werden organisationale Werte und deren Artefakte gesetzt, der Rest bleibt so flexibel wie möglich, um möglichst schnell auf die sich rasant verändernde Ökonomie zu reagieren. Die Werte solcher Organisationen werden dominiert von Prinzipien der Selbstorganisation und Teamarbeit sowie gemeinsamem Sinnerleben. Darin wird deutlich, dass auch Lehren und Lernen in der VUCA-Welt einen Fokuswechsel braucht. Weg von Konzepten, die sich im Rahmen der industriellen Revolution etabliert haben, hin zu modernen humanisierten Lernwelten, die es Teams und Individuen ermöglichen, Lernen als natürlichen Bestandteil ihrer täglichen Arbeit zu verstehen (Foelsing & Schmitz 2021).
Entwirren und verbinden – New Learning und Co.
Der öffentliche Diskurs rund um neue Lernphilosophien verwendet agiles Lernen, Lernen 4.0 und New Learning gerne als Synonyme. Grundsätzlich haben alle drei Ansätze einen geteilten Nenner: Selbstorganisation durch Digitalisierung. Unterscheiden lassen sie sich vor allem bei den Faktoren und Treibern, die bei den verschiedenen Lernkonzepten im Vordergrund stehen.
Agiles Lernen
Agiles Lernen zeichnet sich durch die Anpassung an veränderte Umstände aus, hat einen klaren Aufbau und ist bestimmt durch etappenartiges Lernen. Ein Beispiel, um dies umzusetzen, ist das Arbeiten mit der Scrum-Methode.
Lernen 4.0
Lernen 4.0 steht für die Nutzung von künstlicher Intelligenz und Big Data. Im Vordergrund steht die Interaktion zwischen Menschen und Maschinen. Der kompetente Umgang mit Such- und Recherchemaschinen kann z.B. als Element von Lernen 4.0 gelten.
New Learning
New Learning bedeutet Potenzialentfaltung, Selbstbestimmung und Sinnorientierung im Lernprozess. Lerngemeinschaften sind gute angewandte Beispiele, um die Strukturen rund um New Learning umzusetzen.
Durch diese Differenzierung ist es möglich, die Ansätze in der Praxis spezifischer einzusetzen. Indem die genannten Unterschiede sowie die Gemeinsamkeiten wie die hohe Individualisierung, die kollaborative Lernumgebung, der Effizienzgedanke und die Selbstorganisation beachtet werden, gelingt eine erfolgreiche Umsetzung in den Arbeitsalltag (Graf & Schmitz 2020).
Exkurs: Employability
Employability – zu Deutsch «Beschäftigungsfähigkeit», beschreibt die Fähigkeit (eines Individuums als auch einer Organisation) zur Partizipation am Berufsmarkt. Zu verstehen ist dieser Ausdruck also zweiseitig: einerseits die individuellen Attribute (z.B. Qualifikationen, Kompetenzen oder Erfahrungen) einer Person, die dazu beitragen, dass diese sich am Arbeitsmarkt platzieren kann, und andererseits die Attribute einer Organisation (beispielsweise Entwicklungsmöglichkeiten, Flexibilität oder Lohnstruktur), um sich als attraktive Arbeitsstätte positiv am Stellenmarkt zu positionieren. Der Erhalt und die Förderung der Employability ist eine universelle Aufgabe, der sich Staat, Arbeitgebende sowie Arbeitnehmende gleichermassen annehmen müssen (Morley 2018).
Neuer Fokus – bedürfnisorientiertes Lernen
Die lerntheoretische Ausgangslage von New Learning fusst auf der Erkenntnis, dass das Lernen in Netzwerkgesellschaften – also eng vernetzte VUCA-Welten – rein bedürfnisorientiert erfolgt. Dabei wird der Lernbedarf ausschliesslich von den Lernenden selbst identifiziert: Was verstehe ich (noch) nicht, und was ist dabei für mich und meine Aufgaben relevant? Das eigene Ziel wird dabei zur grundlegenden Lernmotivation, und diese Motivation ist wiederum die Grundvoraussetzung für ein nachhaltiges Lernerlebnis. Bedürfnisorientiertes Lernen bedeutet jedoch nicht nur die vorhandene Relevanz betreffend Aufgaben und Zielen, sondern genauso die zeitlich und räumlich flexible Möglichkeit – auch bekannt unter dem Begriff «on demand» (auf Nachfrage) –, Zugang zu Lerninhalten zu haben (Foelsing & Schmitz 2021).
Eine den individuellen Werten entsprechende Arbeitsumgebung, in der Menschen bedürfnis- und interessenbasiert Kompetenzen erwerben, diese selbstwirksam und selbstorganisiert einsetzen und intrinsisch motiviert erweitern und festigen können, fördert das Kohärenzerleben und somit auch viele weitere wichtige Faktoren: Die Zufriedenheit der Arbeitnehmenden steigt und stärkt gleichzeitig das Commitment gegenüber der Firma. Ebenfalls nehmen die Arbeitsleistungsbereitschaft und die Möglichkeiten, dieser Bereitschaft ohne Gesundheitsrisiko nachzugehen, zu. Kurz gefasst: Organisation und Arbeitskraft florieren gemeinsam und düngen sozusagen ihr Wachstum gegenseitig.
Vom «Goodie» zum Must-have
Nicht zuletzt durch den Generationenund gleichzeitigen Wertewandel wird Arbeit neu definiert. Individuell gestaltbare und selbstorganisierte Arbeitsaufgaben, Berufsbedingungen und Erledigungsabläufe sind unverzichtbare Grundlagen, um dem grossen Generationenziel im Arbeitskontext näherzukommen: Partizipation und Sinnerleben. Insbesondere gut ausgebildete Fachkräfte bestehen heute auf diese «Goodies», welche längst zur «Grundausstattung» einer zeitgenössischen Organisation gehören. Wollen Organisationen also der VUCA-Welt und New Work entsprechen und strukturell gegen den grassierenden Fachkräftemangel ihrerseits etwas unternehmen, so sind diese gut beraten, Prozesse zu entfesseln, organisationale Werte zu festigen und individuelle, sinngebende Freiheiten walten zu lassen. Mit «New» (sowohl New Work als auch New Learning) ist dies möglich, jedoch nicht von heute auf morgen. Weder das eine noch das andere «Neu» lässt sich schnell implementieren und umsetzen. Genauso wenig ist eine Trennung der beiden «News» möglich: New Learning geht nicht ohne New Work, New Work nicht ohne New Learning.