Künstliche Intelligenz ist angekommen in den Organisationen. Zumindest auf der Oberfläche: Prompt-Schulungen boomen, neue Rollen werden eingeführt, Use Cases gesammelt, Pilotprojekte aus dem Boden gestampft, meist gemeinsam mit der Beauftragung von Beratungsunternehmen, die sich als KI-Profis verkaufen.
Das ist wichtig – denn Organisationen müssen ihr Know-how in fachlicher, technologischer und methodischer Hinsicht konsequent weiterentwickeln, um die Potenziale von KI überhaupt nutzen zu können. Genau so wichtig wie diese Kompetenzen ist der Blick auf das, was Technologie allein nicht leisten kann – und genau dieser Blick fehlt in den meisten Strategie- und Implementierungsprozessen.
In der systemischen Beratung beobachten wir in Unternehmen derzeit drei dominante Muster:
Tool-Fokus statt Richtungsarbeit
Der Einstieg in KI erfolgt fast immer über Technologie. Wer bietet das beste Prompt-Training? Wie kann ChatGPT mit Jira oder SAP verknüpft werden? Die dahinterliegende Hoffnung: endlich weniger Komplexität, endlich Entlastung. Die Realität bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Oder erzeugt sogar das Gegenteil. Mehr Komplexität. Mehr Überforderung. Mehr Fragezeichen.
Steigende Investitionen, sinkender Durchsatz
Während sich interne KI-Projekte häufen, nehmen parallel genau jene Symptome zu, die man eigentlich lösen wollte: langwierige Abstimmungen, schwerfällige Entscheidungen, überlastete Mitarbeitende, aufgeriebene Führungskräfte. Trotz höherer Ausgaben sinkt die Produktivität. Und mittendrin Menschen, die nicht mehr wissen, ob sie Innovation ermöglichen – oder sich für Maschinen aufarbeiten.
Menschliche Skills? Nachgelagert.
Soft Skills gelten als «wichtig, aber eben nicht dringend». Während Prompts optimiert werden, bleiben Kommunikation diffus, Zusammenarbeit fragmentiert, Entscheidungen zäh. Dabei entscheidet genau das über die Wirksamkeit von KI in Organisationen: nicht was sie kann, sondern wie sie integriert wird.
Warum menschliche Weiterentwicklung jetzt entscheidend ist – gerade wegen KI
KI macht keine Fehler. Sie reproduziert sie. In Lichtgeschwindigkeit.
Was das konkret heisst?
Wenn Führung unklar ist, wird sie durch KI nicht besser, sondern schneller sichtbar.
Wenn Entscheidungswege diffus sind, eskaliert das Problem mit jedem Tool, das «Effizienz» verspricht.
Wenn die Kultur von Kontrolle statt Vertrauen geprägt ist, wird KI nicht zur Befreiung führen, sondern zum nächsten Mikromanagement-Werkzeug.
Deshalb wird jetzt etwas gebraucht, das in vielen Organisationen systematisch unterschätzt wird:
- Menschen, die Verantwortung übernehmen können, ohne immer die genaue Antwort zu kennen.
- Teams, die mit Ambiguität umgehen können, ohne sofort nach Standardisierung zu rufen.
- Führungskräfte, die nicht nur Prozesse steuern, sondern Sicherheit in Unklarheit schaffen.
Denn KI entlastet nicht von Verantwortung. Sie verschiebt nur die Frage:
Was ist eigentlich noch menschlich – und was davon ist unersetzlich?
Solche Fragen sind unbequem. Aber sie sind überlebenswichtig.
Und sie lassen sich nicht in einer Schulung beantworten. Aber wie dann?
Was Organisationen jetzt tun müssen
Wer KI wirklich sinnvoll in die Organisation integrieren will, braucht beides:
Fachlich-technologische und methodische Weiterentwicklung – und eine konsequente Rückbesinnung auf das, was Organisationen im Kern ausmacht: Menschen, Beziehungen, Sinn.
Konkret heisst das:
- Nicht nur schulen, sondern verhandeln
Welche Rolle soll KI in dieser Organisation spielen? Was bleibt beim Menschen? Welche Verantwortung kann, darf, soll delegiert werden? Und welche nicht? Organisationen dürfen diese Fragen offen stellen und ohne Narrativzwang beantworten. - Systeme nicht nur «auf KI vorbereiten», sondern Irritation zulassen
KI macht Spannungen sichtbar, die schon vorher da waren: Unklarheiten in Rollen, Macht, Kommunikation. Genau hier liegt der Ansatzpunkt für echte Entwicklung. Jetzt ist die Zeit, schonungslos hinzuschauen, wo mit besten Absichten Organisationsentwicklung zu lange aufgeschoben wurde. - Führung neu denken
Führung muss lernen, Unsicherheit auszuhalten und nicht zu kaschieren. Dialoge zu führen und nicht nur Informationen zu verteilen. Vertrauen zu organisieren und nicht nur Prozesse. Organisationen müssen Führung befreien vom Anspruch, jederzeit kontrollierend und allwissend zu agieren. Nur so entsteht Raum, in dem inmitten von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität sinnvoll gehandelt werden kann. - Zeit schaffen für das, was nicht automatisierbar ist
Reflektion, Beziehungsgestaltung, Konfliktbearbeitung, kluge Entscheidungen. Organisationen, die sich hier stärken, werden mit KI nicht nur schneller, sondern auch klüger.
Kurz gesagt:
Unternehmen müssen gleichzeitig in fachliche, technologische und methodische Fähigkeiten und in Kultur, Struktur und Strategie investieren.
Eine systemische Betrachtung des Zusammenspiels dieser Kräfte wird jetzt elementar – denn KI wirkt wie ein Brennglas: Sie macht strukturelle Probleme, die längst da waren, unübersehbar. Sie schafft keine Schwächen – sie legt sie offen.
Wenn Maschinen immer besser im Maschinesein werden, müssen Menschen besser im Menschsein werden.
Der Anfang dieser Entwicklung ist der beste Zeitpunkt, um sich neu auszurichten – auf eine Zukunft, die so menschlich ist wie sie technisch wird.