Nach der Krise ist nicht vor der Krise: Ungeachtet des Kaltstarts erleben viele Mitarbeitende die positiven Seiten von Homeoffice. Immer mehr Unternehmen – auch ausserhalb der Kreativwirt-schaft und der Start-up-Szene – entdecken die Vorteile des «Remote Work», der Arbeit auf Distanz. Vor allem wird nun sichtbar, dass Produktivität nicht unbedingt mit Präsenz gleichzusetzen ist. So gesehen könnte das Corona-Virus in der Arbeitswelt als «Game Changer» wirken.
Blended Working als Trend
Leider hat das Arbeiten auf Distanz seine Nachteile: Nebst Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Arbeit und Freizeit fehlt der direkte Kontakt, unter anderem, weil in der Online-Kommunikation viele nichtsprachliche Signale verloren gehen. Das hat der Bildungssektor schon früh erkannt und mit «Blended Learning» die Verknüpfung von Präsenzunterricht mit E-Learning lanciert. Damit können die Vorteile beider Formen ausgeschöpft werden: E-Learning baut verstärkt auf die Selbstorganisation der Lernenden und erlaubt zeit- und ortsunabhängiges Lernen. Präsenzunterricht ermöglicht die Inter aktion mit anderen, fördert den Zusammenhalt und das Lernen am Vorbild.
Genau das ist die Idee von «Blended Working»: Arbeit im Büro und im direkten Kontakt wird mit Arbeit auf Distanz neu verknüpft, was individuelle Arbeitsrhythmen erlaubt. Dafür bieten sich unzählige Kombinationen an. Zum Beispiel können sich Face-to-Face und online nach bestimmten Mustern abwechseln. Unternehmen vereinbaren Präsenzfenster, um die sich individuelle Arbeit an frei wählbaren Orten gruppiert.
Nach dem verordneten Aufenthalt im Homeoffice wäre es eine verpasste Chance, die Vorteile beider Arbeitsformen nicht gezielt zu nutzen. Hinzu kommt, dass Blended Working Strategien für einen behutsamen Ausstieg aus dem Lockdown anbietet. Damit aber Blended Working nicht zu Work-Life-Blending verkommt, ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema notwendig. Nicht die Vermischung von Arbeit und Freizeit, sondern die bewusste Kombination der Arbeit vor Ort und ausserhalb des Betriebs sollte das Ziel sein.
Was Blended Working für Unternehmen bedeutet
Blended Working stellt Unternehmen vor mehrere Aufgaben: Zunächst müssen sie organisatorische Aspekte klären und die passende Form für ihre Prozesse finden, um Stabilität und Qualität zu garantieren. Im Vordergrund steht dabei die Frage, welche Teile der Wertkette asynchron und ortsunabhängig erstellt werden können und wo eine Zusammenarbeit vor Ort zwingend erforderlich ist. Ausserdem begrenzt die benötigte Infrastruktur die Möglichkeiten von Arbeiten auf Distanz. Den grössten organisatorischen Abstimmungsbedarf erzeugt Blended Working in den einzelnen Teams oder Abteilungen. Informationsfluss, Präsenzzeiten oder Stellvertretung muss jedes Team für sich selbst regeln (vgl. Box). Allerdings erleichtern klare Rahmenbedingungen und gemeinsame Instrumente im Unternehmen die Lösung dieser Fragen. Einheitliche Regeln sind nur schon wegen der Koordination und der innerbetrieblichen Fairness wichtig.
Technische Aspekte, wie Plattformen, mobile Hardware sowie Datenschutz und Datensicherheit, bilden die Grundlagen für Blended Working. Es reicht jedoch nicht aus, eine funktionierende Infrastruktur bereitzustellen. Das ist eine weitere Erkenntnis aus der Corona-Krise: Es braucht Impulse (wenngleich nicht so drastische), damit sich Menschen für neue Arbeitsformen interessieren.
Tech and Touch mit agilen Tools
Die menschlichen Aspekte nehmen bei Blended Working eine zentrale Stellung ein, «Tech and Touch» ist gefragt. Die Menschen mit ihren Einstellungen und Gewohnheiten müssen erreicht werden. Dabei helfen zum Beispiel die Erkenntnisse der positiven Psychologie: Vertrauen und Spielraum für Selbstorganisation, Transparenz sowie Feedback sorgen nicht nur für eine gute Arbeitsatmosphäre, sie sind auch das «Schmiermittel» für Blen-ded Working (vgl. Box). Zudem müssen Mitarbeitende wie Teams eine Lernkurve durchlaufen, um Blended Working sinnvoll nutzen zu können. Team entwicklung ist der Schlüssel dazu, da nur die gemeinschaftliche Auswertung der neuen Arbeitsform zu Fortschritten führt.
Agile Tools sind für Blended Working hilfreich, sie fördern Selbstorganisation, Transparenz und Feedback. Timeboxing (Zeitbudgets) oder Sprints (Zeitfenster für Aufträge) erzeugen einen sinnvollen Arbeitsrhythmus. Daily Standups (tägliche Kurztreffen, physisch oder virtuell) ermöglichen die Koordination unter den Teammitgliedern und tragen zur Strukturierung des Alltags bei. Ein Taskboard
(Sammlung von Aufträgen mit Nachführen des Auftragszustands) vermittelt die Übersicht über die anstehenden Arbeiten. Die Anwendung von Definition-of-Done (Beschreibung, wann ein Auftrag als erledigt gilt) erleichtert die ergebnisorientierte Steuerung.
Handlungsfelder für Personalverantwortliche
Personalverantwortliche können bei den organisatorischen und menschlichen Aspekten von Blended Working beraten und so einen Beitrag zur Organisationsentwicklung ihres Unternehmens leisten. Ein Handlungsfeld ist die Beratung der Unternehmensleitung, wenn Strategien und Rahmenbedingungen festgelegt werden sollen (vgl. Grafik). Dazu gehört etwa die Ausgestaltung von Arbeitszeitbestimmungen. Ferner ist zu prüfen, wie der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht wahrnehmen kann, wenn Mitarbeitende regelmässig ausserhalb des Unternehmens arbeiten.
Bei der Umsetzung von Blended Working im Alltag benötigen Führungskräfte und Teams Unterstützung, etwa in Form von Teamcoaching. Dabei sind folgende Fragen bedeutsam: Wo lässt sich Blended Working am sinnvollsten herstellen? Wie können Vorgesetzte und Teams einer Vereinsamung, Überarbeitung oder Ablenkung der Mitarbeitenden begegnen? Wie lassen sich Datenschutz und Sicherheit gewährleisten? Hier können Personalfachleute über Best Practices informieren, passende Tools evaluieren und Angebote für die Teamentwicklung bereitstellen.
Ferner sollten sich Personalfachleute für das Lernen und für eine laufende Verbesserung von Blended Working engagieren. Erfahrungen müssen dokumentiert werden und sollten in allgemeine Richtlinien einfliessen. Der innerbetriebliche Austausch verschafft Führungskräften und Teams neue Impulse. Zusätzlich hat die HR-Abteilung eine Beobachterfunktion, um Missständen vorzubeugen.
Nutzen von Blended Working
Blended Working kann in zahlreichen Dienstleistungsbranchen einen Produktivitätsschub bewirken; mit dem «Internet of Things» und dem Einsatz von Robotern ist sogar eine Ausdehnung in industrielle Bereiche denkbar. Blended Working erhöht in erster Linie die Autonomie der Mitarbeitenden. Sie erlaubt ihnen, die Arbeitslast an die Tagesform und den Arbeitsort an ihre Vorlieben anzupassen – es muss nicht immer das Homeoffice sein. Wenn dies gelingt, steigt die Produktivität spürbar. Darüber hinaus zwingt Blended Working zu einem bewussteren Einsatz von Besprechungen als Koordinationsinstrument, während in «Präsenzbetrieben» die Schwelle für ausufernde, aber nutzlose Sitzungen deutlich tiefer liegt.
Schliesslich gibt es weitere handfeste Vorteile. So resultiert eine Einsparung von Reisezeit und Reisekosten, was nebenbei Verkehrswege entlastet und die Klimabilanz des Unternehmens verbessert. Eine Senkung der Raumkosten ist nicht ausgeschlossen, sofern Arbeitsplätze gemeinsam genutzt werden können (Desk-Sharing). Hier ist freilich auf ungünstige Effekte (Konkurrenz um Arbeitsplätze) zu achten. Wenigstens ein fester physischer Team-Raum sollte vorhanden sein, damit alle einen «Heimathafen» haben.
Blended Working erleichtert nicht zuletzt die Rekrutierung von Mitarbeitenden mit anderweitigen Engagements, weil ihnen mehr Freiheit in der Zeitgestaltung angeboten werden kann. Blended Working könnte so ein Trumpf bei der Rekrutierung begehrter Fachkräfte sein. Auf der anderen Seite dürfen die Risiken nicht verschwiegen werden: Blended Working verlangt Spielregeln. Es ist kein «Selbstläufer», sondern bedarf der Aufmerksamkeit von Unternehmensleitung und Personalverantwortlichen. Nicht nur die Art der Arbeit, sondern auch die persönliche Situation der Mitarbeitenden setzt Blended Working Grenzen. Deshalb sollte ein faires Blended-Working-Konzept die Möglichkeit beinhalten, weiterhin nur im Betrieb zu arbeiten, wenn das die Betroffenen wünschen.