25. Februar 2025

Bewusstes Grenzmanagement: Umgang mit Spannungsfeldern im Leben von Projektleitenden

Bewusstes Grenzmanagement

Welchen Spannungsfeldern sind Projektverantwortliche ausgesetzt, und wie gelingt es ihnen, sich möglichst produktiv darin zu bewegen? Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und des Beratungs- und Weiterbildungsinstituts BWI hat sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt.

Von: Christian Bachmann  

Christian Bachmann

Christian Bachmann

Partner und Trainer beim Zürcher Beratungs- und Weiterbildungsinstitut BWI. Er verfügt über umfangreiche Expertise in den Themen Resilienz, Stresskompetenz und Projektleitung.

Das Ziel einer gemeinsam von der ZHAW und dem Beratungs- und Weiterbildungsinstitut BWI durchgeführ­ten Studie war es, zu ergründen, welche Strategien, Konzepte und Kompetenzen der Projektleitenden sich in herausfor­dernden Situationen bewähren. Dazu wurden qualitative Interviews mit Projekt­leitenden durchgeführt.

Fünf typische Herausforderungen für Projektleitende

1. Grundspannungen im Projekt 

Projektleitende haben oft keine klar de­finierte Weisungsbefugnis und «hän­gen zwischen den Stühlen» in Bezug auf das Projektteam, den Kund*innen und den internen Auftraggebenden.

2. Spannungsfelder im Kontext von Stakeholdern 

Projektverantwortliche sind auf die Unterstützung ihrer Stakeholder ange­wiesen, können aber nie alle Erwartun­gen und Bedürfnisse, die an sie gerich­tet sind, erfüllen.

3. Spannungsfelder im Kontext von Ressourcen

In jedem Projekt müssen anspruchs­volle Ziele mit begrenzten zeitlichen und finanziellen Ressourcen erreicht werden.

4. Spannungsfelder zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Kunden verlangen von ihren (Projekt-) Lieferanten Zuverlässigkeit und Ver­bindlichkeit in Bezug auf die Projekt­abwicklung, sind aber oft selbst nicht in der Lage, diese Verbindlichkeit in Bezug auf Freigaben oder Entscheide einzuhalten.

5. Spannungsfelder zwischen Beruf und Privatleben

Das Projekt hat grosse Priorität, und von den Projektleitenden wird oft ein hoher und flexibler Einsatz gefordert. Das macht es für sie schwierig, sich abzugrenzen. Darunter kann das pri­vate Umfeld leiden, und oft ist es auch schwierig, nach einem intensiven Ar­beitstag am Abend abzuschalten und sich zu erholen.

Das Setzen von Grenzen ermöglicht Produktivität

Grenzen bezeichnen den Unterschied von einem Bereich zu einem anderen. Spannungsfelder können durch bewuss­tes Grenzmanagement reguliert werden. Zur wesentlichen Funktion von Grenzen gehört es,

  • die Identität eines Systems (einer Orga­nisation oder eines Projekts) aufrecht zuerhalten
  • und seine Funktionsweise zu garantie­ren.

Ohne Grenzen wäre Leben unmöglich. So muss eine biologische Zelle ihre Teile «zusammenhalten», sonst ist sie als Zelle nicht funktionsfähig. Sie muss aber auch offen genug sein, dass der notwendige Stoffaustausch stattfinden kann. Glei­chermassen muss ein Projekt Grenzen setzen gegenüber der Regelorganisation, damit ein Teamspirit und eine Projekt­kultur entstehen können. Gleichzeitig müssen die Projektgrenzen durchlässig genug sein, weil Projekte von den Res­sourcen der Linie und der Unterstützung der Stake holder abhängig sind.

Strategien und Kompetenzen im Grenzmanagement

Das Bedürfnis, allen Erwartungen zu entsprechen, ist für viele Menschen ein tief verankertes Muster. Für mehrere Interviewpartner*innen brauchte es zu­erst ein Bewusstsein dafür, dass das per­sönliche Arbeitsverhalten akut oder län­gerfristig schädigend ist, bevor sie bereit waren, Grenzen zu setzen.

1. Grenzen setzen und schützen 

Grenzen können gesetzt werden in Bezug auf:

  • Arbeitstechnik: z.B. Erreichbarkeitsgrenzen setzen (Push-Nachrich­ten, E-Mails).
  • Erwartungen und Rollen: z.B. ge­genseitige Erwartungen definieren und verhandeln.
  • Konfliktbereitschaft: z.B. kons­truktiver Umgang mit Konflikten, ohne diese zu personalisieren.
  • Abgrenzung zum Vorgesetzten und Delegation: z.B. Verantwor­tung an das Team übergeben.
  • Umgang mit Grenzen der Mit­menschen: z.B. Projektmitarbeiten­de unterstützen oder austauschen, wenn sie erkennbar überfordert sind.

2. Grenzen öffnen

In manchen Organisationen nimmt das «Silo-Denken» überhand. Dies führt zu Abschottung in der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Unternehmens- und Projektbereichen. In diesen Situationen gilt es, Grenzen wieder durchlässiger zu machen oder komplett zu öffnen. Dies gelingt durch:

  • Positive Kommunikationskultur: Formale und informelle Gesprächs-und Austauschkultur im Team oder ehrliche Kommunikation mit den Kunden fördern.
  • Erfolge feiern und Wertschät­zung zeigen: Meilensteine und Projekterfolge feiern.
  • Vertrauen zum Vorgesetzten: Erlaubt es, Leistungen einzufordern und auch Überforderungen thema­tisieren zu können.
  • Achtsamkeit und Körperbe­wusstsein: Den eigenen Körper annehmen können als Signalgeber für Belastung, Stress und Erholung.
  • Professionelle Hilfe: In anspruchs­vollen Situationen Hilfe einholen können von externen Sparringspart-nern, Coaches oder Psycholog*innen.

3. Grenzen versetzen

Projektleitende finden sich oft in infor mellen Führungsrollen mit ein­geschränkter Weisungs- und Entschei­dungsbefugnis, was ihre Handlungs­möglichkeiten einschränkt. Aus diesem Grund brauchen Projektverantwortli­che auch die Kompetenz, Grenzen zu verschieben. Das Spannungsfeld bleibt damit gleich, aber dessen Bewertung verändert sich. Dies wird unterstützt durch:

  • Selbstreflexion: Sich immer wieder bewusst machen, welche Verantwor­tung man trägt und welches aktuell die wesentlichen Prioritäten sind.
  • Gelassenheit: Das eigene Projekt und sein eigenes Tun in einen grös­seren Kontext stellen.
  • Lösungsorientierung: Sich nicht in die eigene Lösungsvorstellung ver­beissen, sondern auch die Lösungs­ansätze der Kund*innen integrieren können.
  • Kognitive Restrukturierung (Re­framing): Sachzwängen einen Sinn geben können, z.B. durch die WIDEG-Frage von Viktor Frankl: Wofür Ist Das Eine Gelegenheit?
  • Über Grenzen hinauswachsen: Dem Team und sich selbst Wachs­tum zutrauen.

Selbstbestimmung statt vorauseilender Gehorsam

Klar zu erkennen war in den Interviews, dass der vorauseilende Gehorsam in der anspruchsvollen Projektarbeit nicht funk­tioniert. Deshalb haben wir die Selbst­bestimmung als übergeordnete, grund­legende Kompetenz definiert.

Projektleitende müssen sich die innere Bewilligung geben, durch aktives Grenz­management auf die Spannungsfel­der einzuwirken, denen sie ausgesetzt sind. Wir verwenden den Resilienzfak-tor Selbstwirksamkeit hier als Synonym. Selbstwirksame Menschen sehen die Spannungsfelder, denen sie ausgesetzt sind, als Herausforderungen und nicht als Bedrohungen, und sie haben die tiefe Überzeugung, dass sie den Anforderun­gen des Lebens nicht ohnmächtig ausge­liefert sind.

Was es für soziale Nachhaltigkeit in den Organisationen braucht

Unsere Interviewpartner*innen waren durchwegs sehr motiviert und zeigten ei­ne hohe Bereitschaft für Engagement und Verantwortungsübernahme. Es kam aber auch zum Ausdruck, dass der Mensch ein begrenztes Wesen ist und in der Lage sein muss, seine persönlichen Grenzen zu erkennen und anzuerkennen. Zur Un­terstützung dafür müssen Führungs- und Organisationskonzepte weiterentwickelt werden, um die steigenden Erwartun­gen an die Projekte im Sinne einer sozi­alen Nachhaltigkeit erfüllen zu können. Gleichzeitig braucht es Projektleitende, welche die eigenen Grenzen und diejeni­gen des Projekts reflektieren und zielfüh­rend regulieren können.

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