Mail-Stakkato, WhatsApp-Gruppen, unzählige Meetings, Termine und Präsentationen: Wenn im Minutentakt kommuniziert wird und Aufgaben zwischen Tür und Angel nur halbherzig erledigt werden, bleibt die Konzentration auf der Strecke, besonders in den Führungsetagen.
Was in der modernen Arbeitswelt als vermeintlich fortschrittlich gilt, führt oftmals zu schlechten Ergebnissen: Multitasking ist keine erstrebenswerte Fähigkeit, denn sie überfordert die Menschen. Zu diesem Ergebnis kamen schon im Jahr 2009 Wissenschaftler der Stanford University. Sie haben erforscht, dass intensive Mediennutzung keineswegs die Konzentrationsfähigkeit schult, sondern verschlechtert.
Achtsamkeit – Gegenpol zum Multitasking
«Heavy Media-Multitasker» liessen sich leichter ablenken, konnten sich relevante Inhalte schlechter merken und Informationen unzureichend verarbeiten, wenn sie gleichzeitig an mehreren Bildschirmen arbeiteten. Ein Gegenpol zum Multitasking und zum bewussteren Umgang mit sich und anderen liefert das Konzept der Achtsamkeit.
Was der amerikanische, emeritierte Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn in Anlehnung an östliche Meditationstechniken vor vielen Jahren als wirksame Methode zur Stressbewältigung bei Patienten («Mindfulness-Based Stress Reduction» – MBSR) entwickelt hat, gilt mittlerweile in Managerkreisen als anerkannte und erfolgreiche Methode, um die Konzentration durch eine bewusstere Aufmerksamkeitslenkung zu schärfen. Zu weiteren wissenschaftlich nachgewiesenen Wirkungen achtsamkeitsbasierter Verfahren zählen unter anderem: eine bessere Emotionsregulation, eine freundlichere Haltung, klares Formulieren der eigenen Wünsche und einfühlsames Zuhören.
Erst reflektieren, dann kommunizieren
So lässt sich Achtsamkeit mit verhaltenstherapeutischen und systemischen Methoden verbinden. Denn wer Achtsamkeit trainiert, lernt das Innehalten und Heraustreten aus dem alltäglichen Handeln, das Fokussieren und das Erweitern der Aufmerksamkeit, das Beobachten, ohne zu bewerten. Stellen Sie sich übertragen auf den Arbeitsalltag folgende Situation vor. In einem Meeting, in dem sich Mitarbeiter zu einem Thema streiten, spürt die achtsame Führungskraft mit folgender Frage der eigenen Reaktivität nach: «Wann werde ich ungeduldig, oder warum finde ich das Meeting langweilig und schweife mit meinen Gedanken ab?»
Eine bewusstere Selbstwahrnehmung hilft Führungskräften, nicht einfach aus starken Gefühlen heraus zu agieren oder zu reagieren, sondern bewusst zu handeln. Eine wirksame Methode, um das Zuhören zu üben und das Verständnis und die Kommunikation miteinander zu vertiefen.
Viele Führungskräfte stehen sehr unter Druck. Das hängt mit den äusseren Anforderungen und der Überforderung mit den Medien zusammen, aber auch damit, dass sie permanent zwischen vielen Lösungsalternativen wählen und notwendige Entscheidungen treffen müssen.
Dass Multitasking nur ein ständiges Wechseln des Aufmerksamkeitsfokus ist, folglich viel Energie verbraucht und auch zu Fehlern führt, ist mittlerweile gut erforscht. Ein Achtsamkeitstraining schult Fokussierung und auch eine bewusste Aufmerksamkeitslenkung auf die Aufgaben, die wirklich wichtig sind. Acht sames Kommunizieren ist auch eine Frage der inneren Haltung. Durch Übung wird sie erfahrbar gemacht und reflektiert.
Sich selbst besser zuhören
Achtsamkeitstraining hilft, sein eigenes Verhalten zu beobachten und sich der eigenen Emotionen bewusst zu werden. Wenn ich zum Beispiel wahrnehme, welchen Anteil ich selbst an einem Konflikt habe, kann ich meine Emotionen besser regulieren und mein Verhalten in Gesprächen steuern.
Diese Selbstführung ist eine wichtige Kompetenz und Voraussetzung für den Umgang mit den eigenen Mitarbeitern. Ein Beispiel: Wenn ich mir meiner eigenen schnell aufbrausenden Art bewusst bin und ich in mich hineinhöre bzw. selbst beim Sprechen beobachte, kann ich meinen blinden Fleck bewusst erfahren und mit den Mitarbeitern anders umgehen, indem ich zum Beispiel klarer, mitfühlender und wertschätzender mit ihnen kommuniziere. Sich selbst zuzuhören, ist die Basis, um anderen besser zuzuhören.
Wie können Führungskräfte nun dafür sorgen, dass ihre erworbene achtsame Haltung im Arbeitsalltag nicht wieder verloren geht? Um das Gelernte aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln, braucht es – vergleichbar mit dem Lernen eines Instruments – den Aufbau einer eigenen, kontinuierlichen Übungspraxis.
Tägliche Übung
Es ist sinnvoller, jeden Tag zehn oder 20 Minuten zu üben als einmal in der Woche 60 Minuten. Hilfreich kann es sein, die Übungszeit als Termin mit sich selbst in den Kalender einzutragen. Für die Wirkung der Übungen ist es nicht wichtig, dass wir immer mit grosser Freude und Motivation dabei sind. Das Entscheidende ist, dass wir üben und uns nicht von anscheinend wichtigen inneren oder äusseren Gründen davon abhalten lassen. Achtsamkeit ist keine Methode «to go»; man braucht Zeit, Geduld, Dranbleiben – aber Führungskräfte bringen diese Fähigkeiten mit.
Auch die Atemmeditation, der Bodyscan und die Gedankenbeobachtung sind wichtige Methoden, die für eine achtsame Kommunikation eingesetzt werden können. Durch die Achtsamkeitsübun-gen werden die eigenen Muster klar erkennbar. Denn die eigene Kommunikation ist voll von Automatismen.
Ist eine Führungskraft zum Beispiel ein ungeduldiger Mensch, reagiert sie ungehalten, wenn ein Mitarbeiter Dead-lines nicht einhält. Indem sie sich den Automatismus ihrer eigenen Reaktion bewusst macht und ihren Eigenanteil, zum Beispiel ihr hohes Pflichtbewusstsein, (an-)erkennt, kann sie künftig anders reagieren und klarer, achtsamer mit dem Mitarbeiter umgehen.
Ein achtsamer Umgang mit sich selbst ist nicht nur Grundlage achtsamer Führung, sondern wirkt als Vorbild. Einer aktuellen Studie des Slow Media Instituts zufolge ist die Fokussierung ein Grundbedürfnis für Führungskräfte, das im reizüberfluteten Arbeitsalltag oftmals nicht erfüllt wird. Gerade mittlere Manager, die dem Druck von oben und unten standhalten müssen, sind belastet.
Achtsame Rituale entwickeln
Dennoch gilt, dass jeder Einzelne auf die Gestaltung des Arbeitsumfelds Einfluss nehmen kann, um konzentriertes Arbeiten zu ermöglichen. Achtsame Rituale und Massnahmen sind ein erster Schritt: Dazu gehört der Mut zu Pausen als Teil der Arbeit, bei Meetings innezuhalten und Informationen auf sich wirken zu lassen, anstatt sofort zu antworten, sowie das Erweitern der Reaktionszeiten auf E-Mails, das dem Sender ermöglicht, eine Nachricht bewusst zu lesen, zu speichern und zeitverzögert abzuschicken.
Denn wer achtsam kommunizieren will, sollte nicht aus einer zum Beispiel ärgerlichen Stimmung heraus eine Nachricht verschicken, die er im nächsten Moment bereut. Lieber diese länger auf sich wirken lassen, als übereilt abzusenden. Achtsam führen bedeutet auch, die Bedürfnisse und die Zeit des anderen zu achten und entsprechend Termine zu vereinbaren. Bei einem Telefongespräch könnte man zum Beispiel seinen Mitarbeiter zu Beginn fragen: Hast du zehn Minuten Zeit für ein Gespräch, oder auf welchen Tag sollen wir es vertagen?
Zu einem konstruktiven Gespräch gehört zudem, eigene Erwartungen zu reflektieren, zu kommunizieren und die Erwartungen des Mitarbeiters zu erfragen. Als Führungskraft sollte man nicht versuchen, jedes Gespräch «in die Hand nehmen zu wollen». Man sollte sich fragen, ob die Beteiligung an einem Gespräch für das Ergebnis wirklich hilfreich ist oder man es nicht lieber den Mitarbeitern überlässt und sich nur bei Bedarf einschaltet. Wichtig ist das Vertrauen in den Prozess, dass bei einer Kommunikation etwas Gutes herauskommt.
Hat ein Grossteil der Belegschaft eines Unternehmens die Prinzipien der achtsamen Kommunikation verinnerlicht und wendet sie im täglichen Arbeitsalltag an, sind die besten Voraussetzungen für eine Unternehmenskultur geschaffen, in der Mitarbeiter wertschätzend miteinander umgehen.
Übung Einsichtsdialog
Beim Einsichtsdialog nach dem amerikanischen Psychologen Dr. Gregory Kra-mer sind die Rollen (ein Sprecher und ein Zuhörer) klar verteilt, und der Ablauf ist strukturiert. Ein Rollenwechsel soll ermöglichen, dass beide Kommunika-toren jeweils beide Rollen erleben und dadurch auch ein Perspektivenwechsel ermöglicht wird.
Ziel ist es, einer Frage oder einem Thema im achtsamen Dialog Raum zu geben, das Geschehen auf sich wirken zu lassen und dabei eine Kommunikation entstehen zu lassen.
Zum Ablauf: Der Sprecher nimmt Kontakt mit sich auf, lässt sich Zeit, hört nach innen und spricht von der eigenen Erfahrung. Der Zuhörende öffnet sich dem Zuhören, wendet sich dem Sprecher zu, nimmt eigene Reaktionen und Impulse wahr, reagiert nicht nach aussen, spricht nicht.
Denn nur mit Achtsamkeit verliert die Führungskraft ihre Mitarbeiter und ihre Bedürfnisse im hektischen und informationsreichen Führungsalltag nicht aus den Augen. Der Vorteil eines achtsamen Dialogs ist: bewusstes, achtsames Sprechen und Zuhören, ein Thema vertiefend erfahren, offene, authentische Kommunikation, Pausen, schweigen, Erfahrungen teilen, Mitgefühl mit sich und dem anderen entwickeln, sich mit Gefühlen und dem Körper in der Kommunikation erfahren.