16. August 2023

Im Gespräch: Unterhaltungen auf Augenhöhe

Im Gespräch

Möchten Sie mit Ihren Mitmenschen auf Augenhöhe agieren? Das ist meist schwerer, als wir uns das vorstellen. Hier lernen Sie, wie wir mitmenschlich miteinander umgehen können, ohne uns über unsere Gesprächspartner*in zu stellen.

Von: Kirsten Dierolf  

Kirsten Dierolf

Kirsten Dierolf ist Master Coach, Gründerin eines globalen akkreditierten Coachingin­stituts, der SolutionsAcademy. Sie bildet mit ihren Trainer*innen in ihren lebendigen Onlinekursen Coaches auf der ganzen Welt aus. In den lösungsfokussierten Coa­chings geht es immer um das, was sich Menschen wünschen, und weniger um die Analyse von Problemen oder wer an ihnen schuld ist.

Kennen Sie das? Sie haben nur Gutes im Sinn, möchten helfen, sich für ande­re interessieren oder einfach ein gutes Gespräch führen. Nach einer Weile aber merken Sie, dass das Gespräch ab­flacht und Ihr*e Gesprächspartner*in sich abwendet oder anfängt, über Be­langlosigkeiten zu sprechen. Es könn­te sein, dass in dieser Situation die Augenhöhe verloren gegangen ist und sich Ihr*e Gesprächspartner*in subtil herabgesetzt fühlt, ohne dass Sie es gewollt oder auch nur gemerkt haben.

Im Coaching ist es besonders wichtig, darauf zu achten, dass wir mit unseren Klient*innen auf Augenhöhe agieren. Kein*e Klient*in kommt zurück, wenn sie/er das Gefühl hat, dass wir uns über sie/ihn stellen oder in irgendei­ner Weise missachten. Im Folgenden möchte ich Ihnen einige häufig vor­kommende Fallen beschreiben und na­türlich auch, wie man ihnen entkommt.

Ratschläge sind auch Schläge

Maria hat ein Problem mit ihrem Chef. Sie hatte ihm einen Text geschickt, und er hatte darin herumkorrigiert und dabei Rechtschreibfehler hineinge­baut, die vorher nicht drin waren. Sie regt sich fürchterlich darüber auf und berichtet ihrer besten Freundin Louise. Louise antwortet: «Warum zeigst du den Text überhaupt deinem Chef – du kannst doch auch allein entscheiden, oder?» Maria fühlt sich unverstanden und herabgesetzt, und Louise hatte es doch nur gut gemeint!

«Ratschläge sind auch Schläge» ist ein alter Spruch aus der Coaching­Welt.

Wenn unsere Gesprächspartner*innen von einem Problem berichten, haben wir oft den Impuls, bei der Lösung zu hel­fen. Wenn uns dann auch noch etwas vermeintlich Brillantes einfällt, zögern wir nicht mit unserer «Hilfe». Dahinter steckt die Annahme, dass wir es bes­ser gewusst hätten und dass die ande­re Person es dadurch, dass sie nicht getan hat, was wir vorschlagen, selbst verschuldet hat. Also eine doppelte He­rabsetzung der anderen Person.

Anstatt also mit unserem gut gemein­ten Rat mit der Tür ins Haus zu fallen, könnten wir uns angewöhnen, erst einmal die Anstrengungen unserer/ unseres Gesprächspartner*in zu wür­digen, indem wir zunächst die Schwie­rigkeit der Situation anerkennen und dann nach den schon erfolgten Lö­sungsversuchen oder Ideen der/des Gesprächspartner*in fragen:

  • Wow, das klingt ja schwierig! Mir wäre das sicher auch so gegangen, dass mich das aufregt!
  • Gut, dass du ihm gegenüber cool ge­blieben bist!
  • Was hast du denn schon alles ver­sucht?

Danach kann man immer noch fragen, ob der/die Gesprächspartner*in ge­meinsam darüber nachdenken möch­te, wie die Situation zu lösen ist.

Nicht geschimpft ist genug gelobt – nicht jedes Lob ist wertvoll

Boris ist ein passionierter Hobbykoch und hat schon überall auf der Welt Kochkurse besucht. Für eine Party bei seinen Freunden hat er schnell eine thailändische Suppe zusammenge­schmissen. Doris probiert den Salat auf der Party und spricht Boris an: «Die schmeckt aber lecker, die Suppe – ge­nau wie die von Maggi!» Boris lächelt bemüht und denkt sich: «Oh, mein Gott, Tütenware. Kein Wunder, dass Doris’ Geschmacksnerven schon ab­gestumpft sind!»

Auch hier wieder: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Ein Lob von jemand, der wenig von unserem Fachgebiet ver­steht, landet nicht bei uns. Durch Lob kann ich mich auch über einen ande­ren Menschen stellen. Ich erlaube mir ein Urteil, anstatt meine Wertschät­zung auszudrücken.

Wenn ich meine Wertschätzung aus­drücken möchte, kann ich besser «lo­ben», in dem ich bei den Spezifika blei­be, quasi meinen Eindruck schildere und mich dann für die andere Person und ihre Leistung interessiere:

  • Wow, Boris, diese Suppe ist ja köst­lich! Ich mag dieses Süsslich­Schar­fe so gern!
  • Sag mal, wie wird die denn zubereitet, wenn’s kein Küchengeheimnis ist?
  • Wo hast du das denn gelernt?

Das führt sicher zu mehr ehrlicher Ver­bindung.

Nicht jede Frage ist eine gute Frage: Othering

Ines lebt mit Gudrun zusammen. Sie planen ihre Hochzeit in einigen Wochen. Herbert ist mit gleichge­schlechtlichen Beziehungen nicht sehr vertraut, und er fragt neugierig nach:

«Wer ist denn bei euch dann die Braut und wer der Bräutigam?» und «Habt ihr dann beide ein Kleid an, oder wie ist das?» Ines und Gudrun werden einge­laden, viele Details zu erklären, die ein heterosexuelles Paar nie beantworten müsste. Sie fühlen sich, als wären sie «nicht normal». Herbert hat es nur gut gemeint und wollte einfach nur Anteil­nahme zeigen.

Im Englischen heisst ein solches Ver­halten «Othering», das Gegenüber zum «anderen», nicht uns zugehörig zu er­klären. LGBTQ­Menschen, Menschen mit anderer Hautfarbe oder denjeni­gen, die sichtbar nicht der Mehrheits­gesellschaft entsprechen, passiert das leider sehr häufig. Die Fragenden wollen meist nicht ausgrenzen, son­dern etwas lernen. Trotzdem fühlt es sich so an, als würden die Fragenden sich über die Befragten stellen: «Ich bin normal, du bist es nicht.»

Was kann ich also tun, wenn ich nicht ausgrenzen möchte, sondern einfach nur mein Interesse bekunden?

  • Zunächst halte ich meine Neugier im Zaum und reagiere mit der passen­den Emotion – Freude bei einer Hoch­zeit, Trauer bei einem Todesfall ...
  • Dann warte ich, was die Menschen mir einfach so erzählen.
  • Wenn ich neugierig bin, stelle ich ein­fach die Fragen, die ich stellen würde,

    wenn es sich um Menschen aus mei­ner eigenen Gruppe handeln würde.

  • Wenn ich immer noch neugierig bin, dann kann ich die Person in einem geeigneten Moment privat fragen, ob sie mir etwas von ihrem Land, ihrer Religion, ihrer Community erzählen mag.

Die Gesprächsführung an sich reissen

Lisa kommt nach Hause und hat schlechte Laune. Jonas, ihr Freund, möchte gerne ins Kino, aber nicht mit einer schlecht gelaunten Lisa, und möchte helfen: «Lisa, was ist denn los?» Lisa brummelt etwas in den nicht vorhandenen Bart. Jonas bohrt nach: «Komm erzähl doch!» Lisa seufzt: «Ach, im Büro lief es nicht so.» Jonas lässt nicht locker: «Was war denn, erzähl doch!» Lisa schaut verär­gert: «Nee, lass mich!» Jonas versteht die Welt nicht mehr. Er wollte doch nur nett sein!

Das mit dem Nettsein hat wohl nicht ganz geklappt. Jonas meint zu wissen, wie er Lisa helfen kann: Man muss doch über Probleme reden, um sie zu lösen. Lisa wollte aber einfach nur den ganzen Mist vergessen. Indem Jonas die Richtung des Gesprächs ziemlich vehement vorgibt, stellt er sich über Lisa: Er weiss, worüber gesprochen werden muss, damit es besser wird.

Wenn Jonas Lisa fragen würde, wie er helfen kann, wäre das Gespräch mehr auf Augenhöhe:

  • «Oh, was ist denn los – magst du mir erzählen?»
  • «Ach ne, ich will’s einfach nur verges­sen.»
  • «Ok, kann ich was für dich tun?»
  • «Nimm mich einfach in den Arm.»

Tada – Kinoabend gerettet.

Ich hoffe, diese vier Fallen können Sie in Zukunft umgehen. Wenn wir immer wieder darüber nachdenken, wie wir partnerschaftlich handeln    können, verstehen wir uns sicher besser und fördern Beziehungen auf Augenhöhe – viel Spass beim Ausprobieren.

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